„Auf Mitleid dürfen Jungen selten hoffen“ – Ein Interview mit Prof. Markus Meier

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Eine kritische Analyse des OECD Gender Reports

Nachfolgender Beitrag ist zuerst erschienen unter www.manndat.de

„Mitunter scheint es, als befänden wir uns inmitten einer irrationalen, die gesamte Gesellschaft durchdringenden Bewegung gegen Jungen und junge Männer.“ (William F. Pollack, amerikanischer Psychologe)

Die größten geschlechterspezifischen Unterschiede in der Bildung gibt es zuungunsten von Jungs. „Mehr als ¼ aller jungen Männer in Deutschland sind funktionell analphabet.“ Das sollte in einem Land, in dem Bildung der wichtigste volkswirtschaftliche Faktor darstellt, die Politiker eigentlich aufhorchen lassen. Trotzdem steht seit Jahrzehnten Mädchen-MINT-Förderung an primärer Stelle der Geschlechterförderung, während es für Jungen fast nichts gibt und wenn, dann beschränken sich die Projekte in der Regel nicht auf Förderung, sondern auf Sanktionierung und Umerziehung von Jungen.

Auf 100 Mädchen-MINT-Förderprojekte kommen gerade einmal vier Jungenleseförderprojekte und davon wurde nur ein einziges von einem Bildungs- oder Jugendministerium gefördert. Das waren zwei Flyer zur Jungenleseförderung in Sachsen. Zwei Flyer sind also alles, was 34 für Bildung oder Jugend zuständige Ministerien in Deutschland innerhalb von 18 Jahren, seit die erste PISA-Studie Jungenleseförderung als wichtige bildungspolitische Herausforderung formuliert hat, zustande gebracht haben.

Der zunehmende Gender Education Gap zuungunsten der Jungen wird nicht als Problem, sondern als positive Rückmeldung einer Geschlechterpolitik gesehen, die sich bis heute ausschließlich auf die „Frauenfrage“ beschränkt. Für uns ist es erschreckend, wie bereitwillig die politisch Verantwortlichen Jungen, also kleine Kinder, auf Grund eines politischen Konzeptes einfach zurücklassen.

Markus Meier und Heike Diefenbach haben gemeinsam den Gender Report 2015 untersucht und stellten die Ergebnisse Ihrer Untersuchungen im Artikel „Die OECD zwischen politischer und wissenschaftlicher Agenda – eine Kritik am PISA-Geschlechterbericht 2015“ in „Gender and Education“, einem der Top-Magazine zu dieser Thematik, vor. Der Artikel ist im Digital Object Identifier (DOI) zu finden. Falls es Probleme gibt, meldet euch bei uns. 

Jungen, Bildung, Politik – das sind natürlich die Stichworte, die uns neugierig machen. Prof. Meier war bereit, unsere Neugierde zu befriedigen und stand uns für unsere Fragen zur Verfügung.

MANNdat: „Wer sagt denn, dass Mädchen dümmer sind“, sagten die Politiker, als Mädchen die schlechteren Bildungsabschlüsse hatten. Heute ist es umgekehrt. Heute bleiben die Jungen in der Bildung zurück. Und heute scheint sich die Politik einig, dass Jungen nun einmal schlicht weg zu „dumm“ seien für Bildung. Die Bundeskanzlerin Merkel bezeichnet Jungen pauschal als weniger fleißig, weniger entwickelt und geringer motiviert, Vertreter der Grünen diskreditieren Jungen pauschal als das unbegabtere Geschlecht. Ist diese Abwertung der „dummen“ Männer gerechtfertigt und die Wissenschaft hat sie bisher nur nicht genug erforscht, da sie ja vornehmlich von Männern betrieben wurde? Oder ist das Sexismus und Biologismus?

Ich bin nicht sicher, ob ernsthafte Erziehungswissenschaft jemals tatsächlich die These aufgestellt hat, dass Mädchen „dümmer“ seien, ich kenne erziehungswissenschaftlich keine Publikation in der Richtung; Problematisierung und Abwertung von Männern hingegen ist ein alter erziehungswissenschaftlicher Topos, Kucklick hat das vor kurzem sehr schön mal als Negative Andrologie der Moderne nachgezeichnet. Auch hat die Schule Mädchen immer schon besser bewertet als Jungen. Nun, Vorwürfe werden durch Wiederholung ja durchaus geläufiger, aber eben nicht berechtigter.

Richtig ist, dass traditionell Mädchen und Jungen, Männer und Frauen als reproduktiv komplementär verstanden wurden und die Gesellschaft und ihre Institutionen beide deshalb unterschiedlich erzogen. Hauptsächlich Männer verdienten Geld, das Frauen in der Familie in die Aufzucht der gemeinsamen Kinder investierten. Das war kein Komplott oder eine Verschwörung gegen Männer oder gegen Frauen, sondern etwas, was die meisten für natürlich hielten – nicht nur, aber auch in der praktischen Pädagogik und ihrer erziehungswissenschaftlichen Reflektion. Viele ganz normale Menschen sehen das heute noch so. Seit einigen Jahrzehnten hat sich das akademisch allerdings radikal geändert, und diese reproduktive Komplementarität der Geschlechter wird skandalisiert und die (übrigens nicht bedingungslose!) ökonomische Autonomie von Frauen propagiert und Männern suggeriert, sie sollten jetzt erst einmal eine historische Schuld abarbeiten und Erziehungswissenschaft dürfe sich zu dem Thema „Lernen und Geschlecht“ nur noch in diesem neuen Sinne äußern, oder aber bitte schuldbeladen-schamvoll die Klappe halten. An diese Sprachregelung halten sich in der Erziehungswissenschaft und der Politik viele. Kann man so machen, muss man aber nicht.

Zuerst einmal ist daran zu erinnern, dass Männer in der Geschichte bisher Großes geleistet haben, ich denke an Shakespeare und Goethe, Rembrandt und Picasso, Mozart und Messiaën, Einstein und Leibniz um nur einige zu nennen, durchaus nicht nur alles „stupid angry white old men“. Dass einige Politiker und v.a. Politikerinnen inzwischen Jungen und Männer pauschal verunglimpfen, ist in der Tat erstaunlich, mehr noch, dass sie sich davon so eine Art schulterklopfend-bierzeltige Zustimmung erhoffen, und zwar offensichtlich von weiblichen und männlichen Wählern. Die Wahlforschung zeigt aber, dass insbesondere die jungen Männer entgegen dieser populären Annahme durchaus nicht so „dumm“ sind, sich – wie Bert Brecht einst schrieb – „ihre Schlächter auch noch selber zu wählen“. Der Ausgang der Wahl zwischen Clinton und Trump in den USA ist ja weitgehend auf diesem Feld „Mann gegen Frau“ entschieden worden. Zu begrüßen ist diese Polarisierung ganz sicher nicht, aber Marginalisierung und Abwertung von Männern war offenbar eben auch kein tragfähiges Konzept, um politische Mehrheiten zu organisieren. Ob die Botschaft bei den Politikern angekommen ist?!

Kommen wir zu Ihrer Studie. Die Genderwissenschaft steht immer wieder in Kritik, nicht ergebnisoffen zu forschen, sondern Phänomene parteilich zweckdienlich erklären zu wollen, Gefälligkeitsforschung für politische Ziele zu sein. Was hat Sie und Frau Diefenbach motiviert, den PISA-Gender Report der OECD zu analysieren?

PISA ist ein Giga-Unternehmen, da werden über 5 Millionen Beschulte in über 60 Ländern mit hochsensiblen Instrumenten getestet für zigmillionen Euros. Die Ergebnisse werden weltweit wie eine Art „Schulolympiade“ aufgenommen – wer hat da was in welcher Disziplin gewonnen und wen platt gemacht, welches Land darf protzen, wer muss nachsitzen und sich schämen, „distributing bragging and blaming rights“ haben wir das mal genannt. Dieses Phänomen betrifft Bildungsverwaltungen, Schuldirektoren, Lehrer, Schüler, Eltern, aber eben auch Medien und Politik, nicht zuletzt die Erziehungswissenschaften selbst. Frau Diefenbach und ich wussten von den hohen methodischen Hürden und der großen Professionalität, die bei der PISA-Erhebung Standard sind, und dachten uns „Das ist ja prima, endlich wird ein Gender-Report mal aufzeigen, was aufzuzeigen ist, und nicht nur im moralischen Sumpf stochern.“ Und dann haben wir das Seite für Seite durchgearbeitet und trauten unseren Augen nicht, wie bei den Autorinnen – der Report ist von vier Frauen verfasst – statistische Daten und deren Interpretationen auseinanderfallen.

Erklären Sie uns doch bitte kurz Ihre Methodik, die Ziele und den Umfang Ihrer Studie.

Unsere Arbeit ist eine klassische Kritik. Wir nehmen also an, dass die Autorinnen keine „frisierten Zahlen“ verwenden, sondern schauen uns stattdessen an, wie sie die Ergebnisse ihrer Erhebungen interpretieren und welche Handlungsempfehlungen sie daraus ableiten. Denn Zahlen werden ja nicht einfach so erhoben, sondern um damit etwas zu zeigen, zu widerlegen oder zu beweisen, sie sprechen nicht für sich selbst – Aussagen wie „80%; jeder Fünfte; nur in zwei Ländern etc.“ sind zuerst einmal neutral, erst durch Interpretation gewinnen sie Sinn und beantworten eventuell eine Frage oder/und werfen neue auf. Unsere Forschungsfrage war also nicht „Stimmen die Zahlen?“, sondern „Ist diese Interpretation der Zahlen sinnvoll?“

Wir sind gespannt und ergebnisoffen an die Arbeit gegangen, zumal der international-vergleichende Ansatz von PISA ja immer für Überraschungen gut ist. Man meint Deutschland, vielleicht Europa ganz gut zu kennen, in meinem Fall noch Südamerika – aber wie schneiden Schüler im Orient, wie in China, Indien oder Südafrika ab? Ziel war, die Interpretationen des Genderreports anhand der Zahlen zu überprüfen und ggf. sinnvollere Interpretationen vorzuschlagen. Im Laufe der Arbeit schälten sich sechs Fragen heraus, die wir weiterverfolgten: 1. Was genau verstehen die Autorinnen eigentlich unter Gender, 2. welche Rolle spielen Kompensations- und Wiedergutmachungsüberlegungen in ihrem Denken, 3. unterscheiden sie überhaupt zwischen Korrelationen und Kausalerklärungen (für Statistiker ist das ein ganz wichtiger Unterschied), 4. welchen praktischen Unterschied macht welcher festgestellte Schulnachteil, 5. was verstehen die Autorinnen unter Stereotypen und Rollenmodellen, 6. wie halten sie es mit der Frage nach den „angeborenen Geschlechterunterschieden“?

Da sind wir jetzt gespannt: Wie wird denn „Gender“ im OECD Gender Report konkret definiert?

Gar nicht. Das war auch abzusehen.

Nun ja. Uns überrascht es. Wir hätten erwartet, dass ein Gender Report zumindest klar definiert, was Gender ist. Wie „gendern“ denn die Autorinnen?

Die Autorinnen unterscheiden einfach zwischen Jungen und Mädchen, ganz traditionell. Dieser ganze blumige und oft auch etwas chaotische Genderdiskurs, der vor allem von Homosexuellen eingeklagt wird, spielt im GR gar keine Rolle, es ist ein klassischer Vergleich zwischen biologischen Jungen und biologischen Mädchen, der um modern zu klingen eben „Gender Report“ heißt. Gegendert ist allerdings die unwissenschaftliche moralistische Grundtönung der Reports – es geht den Autorinnen erkennbar um unsere Mädchen und die anderen eben, die Jungens. Da stehen dann – wörtlich – so Sachen drin wie „girls make mistakes, they are not mistaken“ und zu den Jungen “there is very little that teachers, school principals and parents can build on to promote improvement”, ein schulterzuckend-ignorantes Was-geht-denn-uns-das-an.

Wird im Gender Report zumindest ein einheitlicher Bewertungs- und Beurteilungsmaßstab für Mädchen wie für Jungen zugrunde gelegt?

Ja und nein.

Die PISA-Leute erheben ihre Zahlen im Rahmen der Durchführung der Studie anonymisiert standardisiert, da werden z. B. pro Land oder Geschlecht keine Fragen verändert, um erwünschte Ergebnisse zu bekommen. Das ist auch nachvollziehbar, denn würden die da den international anerkannten Standards von Objektivität, Genauigkeit und interner Gültigkeit nicht folgen, wäre ihre teure Studie vermutlich sehr schnell unverkäuflich. Aber die Macherinnen des Genderreports picken sich aus dieser Masse von Zahlen immer genau das heraus, was offensichtlich ihren Interessen dient oder ihren Vorurteilen entspricht – und nur das. Wenn die Daten etwas ganz anderes suggerieren, werden sie ignoriert. Da werden dann in der Tat völlig unterschiedliche Maßstäbe angelegt.

Ein Beispiel?

Zwei.

Noch besser.

Die Autorinnen sprechen zwar an keiner Stelle explizit von Jungenbenachteiligung, aber irgendwie können sie den riesigen rosa Elefanten, um den ihr Report ja kreist, offensichtlich auch nicht ganz ignorieren. Was tun? Jungenbenachteiligung soll als eine Art „historische Kompensation und Wiedergutmachung“ er- und geläutert werden; kannten wir beide schon und fanden wir historisch fragwürdig und logisch überhaupt nicht einleuchtend, aber sei´s drum. Die Autorinnen gehen bis ins Jahr 1896 (achtzehnhundert!) zurück und zeigen, dass es – ein übrigens weltweit erstaunlich geringes – Übergewicht von jungen Männern in tertiärer Bildung gab, etwa 5%. Tertiäre Bildung, also Studium, ist zwar eigentlich gar nicht Thema von PISA, aber wir taten mal so, als ob uns das nicht auffiel. Dann allerdings sackte uns schlicht das Kinn runter: Die Zeitreihe bricht im Jahr 1980 einfach ab, danach bringen die Autorinnen keine Daten mehr, der Report ist aber von 2015! Die Masche war ganz einfach: Ersichtlich studieren ab etwa 1955 weltweit mehr Frauen als Männer, seit 1980 wird der Versuch der Beibehaltung der Kompensationshypothese albern. Also gibt man ab 1980 einfach keine Daten mehr an. Das ist keine Fälschung, man lässt halt einfach was weg, und fertig ist das Wiedergutmachungsargument.

Noch ein Beispiel: Es ist eine uralte Streitfrage, ob ein hohes Selbstbewusstsein in einem Fach zu guter Leistung führt, oder eine gute Leistung zu einem hohen Selbstbewusstsein führt, ob sich beides verstärkt oder ob es eine dritte, vierte, fünfte Variable gibt, die da hineinspielt. Selbstwirksamkeitsüberzeugung ist der höchste Prädiktor für Bildungserfolg überhaupt! So weit so gut. Nicht gut ist, dass die Autorinnen diese Frage „Welche Rolle spielt eigentlich das Selbstbewusstsein für die Leistung?“ bei den Mädchen stellen, bei den Jungen hingegen nicht. Nicht, weil PISA diese Daten nicht erhoben hätte, sondern weil die Genderreporterinnen die Frage, welchen Einfluss eigentlich ein schwaches Selbstkonzept in den Sprachen für einen Jungen bedeuten mag, überhaupt nicht interessiert. Das lässt man einfach unter den Tisch fallen, Jungen seien stattdessen „simply no good students“. Sehr ausführlich (und fraglich) wird hingegen dargelegt, dass Mädchen sich in Mathe wenig zutrauen und deshalb in Mathe schlechte Noten schreiben; Lehrer müssten vorsichtig mit ihnen umgehen. Nun, das gilt ja für Lehrer und Schüler generell, vielleicht für Lehrer und männliche Schüler in den Sprachen in besonderem Maße. Kein Wort dazu im PISA-Report.

Seriöse Forschung hätte natürlich fragen müssen „Wie korrelieren die Selbstbewusstseinswerte von Jungen und Mädchen in je Mathe und Sprachen mit den jeweiligen Leistungen?“ und dann fragen müssen „Was sagt uns das?“, eventuell sogar „Was sollten wir tun?“ In der etwas komplizierten Sprache der Statistiker: Die hätten ein theoretisch begründetes statistisches Modell zur Interaktion von Selbstbewusstsein und Leistung in verschiedenen Fächern entwerfen müssen und es dann gegen beide Populationen – Jungen und Mädchen – testen müssen, die Daten hatten sie ja. Haben sie aber nicht gemacht, was die Genderreporterinnen schreiben, ist deshalb wissenschaftlich gesehen weitgehend wertlos.

Das ist eine sehr interessante Analyse. Das passt dazu, dass trotz geschlechterspezifischem Bildungsgefälle zuungunsten von Jungen in der Bildungsberichterstattung nahezu ausschließlich Mädchenförderung im MINT-Bereich gefordert wird, während die Lesekompetenzrückstände von Jungen marginalisiert werden. Wie bewerten Sie das als Wissenschaftler?

Mathe und Mädchen, MINT-Mütter als Modelle für Mathematikerinnen – auch im Genderreport haben diese Topoi geradezu Fetischcharakter.

Das verwundert aus verschiedenen Gründen: Zum einen ist MINT ja gar kein Schulfach, sondern bezeichnet ein Berufsprofil (Mathematikerinnen, Ingenieurs- und Naturwissenschaftlerinnen, Technikerinnen). Das hat aber mit einer Schulleistungsstudie an 15-Jährigen zuerst einmal wenig zu tun. Es geht offenbar darum, MINT hier hereinzuholen, um eine schulische Benachteiligung von Mädchen zu suggerieren.

Zum zweiten steht es jeder jungen Frau frei, nach der Schule das zu studieren, was sie nun einmal mag, und das zu meiden, was sie nun einmal nicht mag; MINT, oder Jura, oder Medizin, oder Germanistik oder Altgriechisch oder was auch immer. Dass nämlich in den ehemaligen „Männerberufen“ Jura und Medizin der Anteil der jungen Frauen inzwischen weit über 60% liegt, und dass beide zu den Top-Verdienerinnen-Berufen gehören, scheint ja nicht gerade für die These von den dauerhaft abschreckenden Männern in MINT zu sprechen, die dort gläserne Decken installieren. Im Übrigen ist die Naturwissenschaft „Biologie“ durchaus kein Schul- und Studienfach, das Frauen meiden.

Man muss drittens auch mal die Frage stellen, was das denn praktisch alles wirklich bedeutet. Mädchen können durchschnittlich nicht so gut Mathe wie Jungen? Nu jeh, dann nehmen sie eben einen Taschenrechner, das tun doch die meisten Jungen auch. Und drei Beweiswege für den Satz des Pythagoras dürften viele Abiturienten nach der Abschlussfeier bereits nicht mehr hinlegen können und trotzdem ganz gut weiterkommen im Leben. Diese „externe Validität“ genannten Überlegungen sollten beim MINT-Mädchen-Hype immer auch mal berücksichtigt werden. Ein unsicherer sprachlicher Auftritt hingegen, Schwierigkeiten beim Textelesen, die Unfähigkeit sich adäquat, schnell und elegant auszudrücken und sprachliche und stilistische Nuancen zu erkennen und zu deuten – das alles sind Nachteile, die sich kaum je ausgleichen lassen, zumal sie ja, anders als Mathe, in alle anderen Schulleistungen und -noten dann auch mit reinspielen. Und sie betreffen eben vor allem Jungen.

Es ist viertens aber an dieser ganzen MINT-Argumentation auch ein „Paradigmenwechsel“ abzulesen, der kaum je thematisiert wird in der Geschlechterdiskussion, der aber fundamental ist. Es geht um den logischen Unterschied zwischen „Gleichheit“ und „Mindestens Gleichheit“, statistisch = bzw. ≥

Der erste, „Gleichheits-“Ansatz ist der ältere und er will egalitär einfach jeweilige Benachteiligungen benennen und – wo möglich und nötig erscheinend – beheben. Ihre Organisation MANNdat verfährt – soweit ich das überblicken kann – nach diesem Grundsatz: Sie fordern, die relative Leistungsschwäche der Mädchen in Mathe – die sie im Übrigen nicht bestreiten – zu der Leistungs- und Bewertungsschwäche der Jungen in den Sprachen in Beziehung zu setzen. Sie sprechen kompensatorisch vor allem letztere an und wundern sich über die Ungerechtigkeit des kollektiven akademischen und politischen Desinteresses.

Ebendiesem Desinteresse – also der angesprochenen Obsession mit MINT, Mädchenselbstbewusstsein, Stereotypenärger etc. – liegt aber eine ganz andere Denkfigur zu Grunde, nämlich der neue „Mindestens Gleichheits-“Ansatz: Frauen ≥ Männer. In dieser Logik sind alle Werte, wo A (z. B. Frauen) mehr als B (z. B. Männer) aufweisen, für die Gleichung korrekt, fehlerhaft erscheint nur, wo A (z. B. Frauen) geringere Werte als B (z. B. Männer) haben. Anders herum ausgedrückt: Ob Mädchen in Sprachen 100% oder 600% der Jungenleistungen aufweisen, ist unerheblich, solange der Wert in MINT nicht ≤99% ist. Die Logik ist nicht mehr egalitär bezogen auf die Gesamtpopulation (also etwa auf alle Schüler, Jungen und Mädchen), sondern partikularistisch auf „uns“ (also Mädchen und ihre Fürsprecherinnen und Fürsprecher). Das mag einem Statistiker „unlogisch“ und einem Laien „ungerecht-gierig“ erscheinen, aber man gewöhnt sich besser dran.

Gesamtgesellschaftlich finden wir das gleiche Muster, wenn vermeintliche oder tatsächliche Benachteiligungen von Frauen in der ökonomischen Produktion nicht mehr mit vermeintlichen oder tatsächlichen Benachteiligungen von Männern im Bereiche der komplementären biologischen Reproduktion ausbalanciert werden, sondern alles, was mit Reproduktion und Familie zu tun hat, als „Frauensache“ 100%ig unproblematisch und unproblematisierbar bleibt.

Generell ist es ja zuerst einmal kein Problem, dass Mädchen in den Sprachen, Jungen in Mathe besser abschneiden, so wie Menschen ja in vielen Dingen differieren, Körpergrösse, Fussballverein, Haarfarbe, Musikpräferenzen und vielem anderen – zum Glück! Wieso sollten genauso viele Mädchen wie Jungen Ingenieure werden (müssen)? Schwierig wird es erst, wenn eine Verteilung skandalisiert wird und die andere achselzuckend ignoriert wird, also eine Verteilung als interventionsbedürftig deklariert wird und die andere nicht: Es gibt zu viele (zwar teuer ausgebildete, aber nur halbtags arbeitende, nachtdienstmeidende) Ärztinnen? Was für ein sexistischer Gedanke! Es gibt zu viele männliche Ingenieure? Das geht uns alle an!

„Mindestens Gleichheits-“Ansatz – Den Begriff werden wir uns merken.

Studien haben bewiesen, dass Jungen bei gleichen Schulleistungen schlechtere Noten bekommen als Mädchen. Das müsste in einer Wertegemeinschaft, die Benachteiligung aufgrund des Geschlechtes ablehnt, einen Aufschrei zur Folge haben und die Politik engagiert zum Handeln bewegen. Dies ist aber nicht der Fall. Wird dieser Sachverhalt im Gender Report thematisiert und wenn ja, zu welchem Schluss kommt er?

Das Phänomen wird als solches in einem Satz angesprochen und damit hat es sich.

Immerhin.

Weder wird die Geschlechts- oder Fachspezifik noch eine eventuelle Länder- oder Regionenspezifik angesprochen, noch werden konkrete Werte bezüglich der Korrelation zwischen „real-anonymen“ PISA-Werten und „lehrerattribuierten“ Schulwerten mitgeteilt. In der Tat hätte es den einen oder anderen Leser ja interessieren können, wie groß genau die Benachteiligung von Jungen durch Schulnoten und die Bevorzugung von Mädchen durch Schulnoten konkret ist. Stattdessen wird die systematische Verzerrung von Leistungsbewertung durch Schulnoten für die Jungen kurz konstatiert, ohne sie zu problematisieren, bei den Mädchen wird sie schlicht ignoriert. Man illustriert stattdessen mit herausgepickten Zahlen, was man zu wissen meint – surfing data nennen die Statistiker das informell. Die eigentlichen geschlechterspezifischen Forschungsfragen aber hätten hier heißen können und müssen: Haben wir in den Schulen nicht nur ein Leistungs-, sondern auch ein Bewertungsproblem? Wie groß sind beide und wie hängen sie zusammen? Was könnten wir tun? Aber gut, die Autorinnen verschweigen das Phänomen auch nicht rundheraus, es liegen also Ansätze zur Anwendung wissenschaftlicher Methoden vor.

Die jeweiligen Länderdaten mit den Vor- und Nachteilen von Jungen und Mädchen in Mathe bzw. Sprachen – also das, worum es im PISA Gender Report eigentlich geht – haben die Autorinnen übrigens nicht abgebildet, das mussten wir uns erst mühsam zusammensuchen. Die einzige Region, wo relative Mädchenschwächen in Mathe und relative Jungenschwächen im Lesen sich halbwegs ausgleichen, ist übrigens Südamerika, am ungerechtesten in dieser Hinsicht sind die skandinavischen Staaten, einsame Spitze ist PISA-Star Finnland, da bekommen die Mädchen sogar in Mathe bessere Noten als die Jungens und der Sprachvorteil der Mädchen beträgt 62 PISA-Punkte, das entspricht grob zwei Schuljahren! (Diefenbach, 2013, und die von uns zitierten Stoet/Geary, 2015, haben das sehr gut herausgearbeitet, das können Interessierte dort nachlesen.)

Wenn der enorme Bildungsnachteil von Jungen der Ausgleich dafür sein soll, dass Frauen ihren Bildungsvorteil nicht nutzen, weil sie sich für die „falschen“ Studienfächer entscheiden, wird dann die Schule nicht zu einem bloßen Werkzeug eines politischen Programms degradiert, anstatt eine Einrichtung zu sein, die alle Kinder im Rahmen ihrer Möglichkeiten bildet, und welche Rolle spielen die biologischen Unterschiede von Männern und Frauen in diesem Zusammenhang?

Das habe ich oben schon angesprochen: Junge Frauen studieren mit Medizin und Jura die beiden Fächer mit den höchsten Einkommenschancen, MINT gehört nicht zu diesen Fächern. Dass Frauen später vielfach trotzdem teilweise weniger verdienen, liegt daran, dass sie statistisch gemittelt gesehen nicht oder nicht voll erwerbstätig sind, sondern in biologische Reproduktion investieren, die dann irgendwann in ferner Zukunft sich wiederum in arbeitende, steuerzahlende Bevölkerung verwandeln wird. Diese Fragen nach der Arbeitsteilung zwischen ökonomischer Produktion und biologischer Reproduktion innerhalb der reproduktiven Einheit Familie muss jedes Paar für sich klären, jede Gesellschaft stellt hierzu andere Regeln und Gesetze auf. Nicht arbeitende Mütter oder Väter, die sich um die gemeinsamen Kinder kümmern, zahlen zwar keine Steuern (was den Staat stört), aber langfristig kann es ja im Sinne gesellschaftlicher Arbeitsteilung und Nachhaltigkeit, im Sinne einer Balance von ökonomischer Produktion und biologischer Reproduktion, letztlich im Interesse des schieren demographischen Überlebens, auch vorsichtig begrüßt werden, wenn Paare Kinder gekommen, selbst wenn es in der Regel mit Einkommenseinbußen verbunden ist.

Und ja: Welche sozialen Rollen in Bezug auf Produktion und Reproduktion hält welche Gesellschaft eigentlich für ihre Jungen und Mädchen jeweils (nicht) bereit? Und warum? Diese Fragen herauszuarbeiten wäre in der Tat als theoretischer Rahmen eines Genderreports ganz wichtig gewesen, gerade auch im Vergleich verschiedener Regionen und kultureller und religiöser Traditionen. Überlegungen zu den reproduktiven Ungleichheiten von Jungen und Mädchen, Männern und Frauen jedoch fehlen – wie eingangs bereits bemerkt – völlig.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist also immer noch ein großes Problem?

Hier viel Phantasie zu entwickeln, damit in modernen Gesellschaften Kinder zu bekommen weder für Männer noch für Frauen zu einem unüberwindlichen biographischen Hindernis und einem unkalkulierbaren Lebensrisiko wird – das ist in jedem Fall eine Herkulesaufgabe, die noch nicht einmal formuliert ist. Nur: Das hat mit Erziehungswissenschaft und Pädagogik, mit Schule und Schulleistungstests (fast) nichts zu tun. Gefragt ist hier das Familien- und Sozialrecht und alles, was mit einer völligen Neudefinition von Vätern und Müttern und ihren respektiven Rechten und Pflichten in Bezug auf ja immer komplementäre Elternschaft zusammenhängt, alles aber auch, was die „Kollektivierung“ von elterlichen Kindern durch den Rentnerstaat betrifft. Die Schule und die Erziehungswissenschaften haben alle Anliegen der Gesellschaft und der Politik, die diese aus Feigheit, Opportunismus, Kurzatmigkeit oder Phantasielosigkeit einfach liegenlässt oder als „Zukunftsaufgabe“ in die Schulen verlagern will, streng zurückzuweisen. Kleine Jungen und Mädchen, die zum Schulbesuch zwangsverpflichtet werden, können nicht „aufgeladen“ werden mit den geschlechterpolitischen Utopien und Ängsten der jetzt erwachsenen Generation, da muss sich Pädagogik und ihre erziehungswissenschaftliche Reflektion entschieden schützend davorstellen.

Der Gender Report ist auch wesentlicher Bestandteil in der Politikberatung. Ist die „Jungen sind selber schuld“-These bei Genderisten und Politikern vielleicht deshalb so beliebt, weil sie sich damit die Absolution für ihr Zurücklassen von Jungen geben?

Das schreiben die ja sogar wörtlich so. Es heißt da „Da sich abgehängte Jungen später politisch sowieso nicht engagieren – anders etwa als die engagementelitäre Gymnasiastin – hat die Regierung wenig Anlass, in der Misere bezüglich Jungen und Schule tätig zu werden“. Das stimmt vermutlich sogar, auch wenn die politischen Implikationen abgehängter Männer auch in eine ganz andere Richtung gehen könnten. Wichtiger ist aber: Es ist nicht Aufgabe „der Regierung“, sich um die Schulprobleme von Jungen zu kümmern, sondern Aufgabe der Erziehungswissenschaften, Aufgabe eines OECD Gender Reports etwa. Hieran scheitern die Autorinnen.

Wir lesen oft, dass das Zurücklassen von Jungen in der MINT-Förderung durch spezifische Förderung ausschließlich von Mädchen gerechtfertigt wäre, weil mehr Mädchen als Jungen davon betroffen sein sollen. Die Förderung von Jungen in speziellen Leseförderprogrammen wird dagegen abgelehnt, weil es ja auch Mädchen gibt, die schlecht lesen und man sie deshalb nicht einfach unberücksichtigt lassen könne. Ist diese ausgeprägte Doppelmoral in unserer Gesellschaft schon so normal, dass sie niemandem mehr aufzufallen scheint?

Das männliche Geschlecht ist schon während der Evolution der bimorphen Lebewesen einem stärkeren Konkurrenzdruck ausgesetzt gewesen als das weibliche. Male competition versus female choice sagen die Soziobiologen. Verlierende Jungen sind uninteressant, da sie leichter durch gewinnende Jungen ersetzt werden können. Verlierende Mädchen wiegen für eine Gesellschaft viel schwerer, da ihr reproduktiver Wert wesentlich schwerer zu ersetzen ist. 2015 hat man das bei der Flüchtlingskrise gesehen – es waren die Verliererjungens aus krisengeplagten Gebieten, die sich mit nichts auf den Weg machten, kaum je die Mädchen. Es ist auch aus diesem Grund, dass Gesellschaften immer schon ihre Jungens – nie jedoch ihre Mädchen – in Kriegen verheizten. Auf Mitleid durften Jungen selten hoffen, dürfen es wohl auch heute nicht. Auch die erwähnte PISA-Vorstellung, bei schwachen Jungen könne/müsse man eben nichts machen, bei schwachen Mädchen schon, folgt ja diesem Muster.

Was tun? Ich denke, man muss das ganze Gendergequake auch nicht allzu ernst nehmen, wenn es um Mädchenförderung geht. Das ist Lobbyismus; das starke Wort Korruption würde ich vermeiden, da das ganze Umfeld Bildung und Kinder dafür ja viel zu weich ist. Männer (und integre Frauen, wie etwa Frau Diefenbach) dürfen sich von Pseudowissenschaft wie dem PISA-Gender Report nicht mehr einschüchtern lassen und müssen stattdessen solidarisch aktiv werden. Das geht, das war früher selbstverständlich, ist es in anderen Kulturen heute noch. Wo das im Westen, in Deutschland, in der Akademie, in der Schule geblieben ist – das wäre mal eine interessante bildungshistorische Studie wert. Vielleicht findet sich ja ein Doktorand … (lacht)

Wir haben auch schon engagierte Frauen und Männer in der Jungenleseförderung kennengelernt. Das macht Hoffnung.

Allgemein gilt: Wenn Mädchen schlechtere Noten haben, werden sie diskriminiert. Die Schule muss sie fördern und sich nach ihren Bedürfnissen richten. Wenn Jungen schlechtere Noten haben, sind sie selber schuld, Pech gehabt. Sie sollen sich ändern und sich nach den Bedürfnissen der Schule richten. Wird diese extrem polarisierende Wahrnehmung und Beurteilung von Kindern allein aufgrund ihres Geschlechtes im Gender Report kritisch reflektiert?

Nein, eine kritische Reflektion der eigenen Involviertheit findet im Gender Report durch die vier Autorinnen nicht statt, an keiner Stelle, sie ist mir aus den Genderstudien insgesamt auch völlig unbekannt. Dazu kommt, dass der Genderreport Auftragsforschung der OECD ist, da geht es um Geld, Stellen und Karrieren und der Ergebnishorizont ist relativ eng vorgezeichnet. Meiner beschränkten persönlichen Erfahrung nach können gerade Frauen im Übrigen sehr konformistisch sein und Abweichlerinnen geradezu gnadenlos marginalisieren – gegensätzliche oder auch nur alternative Ansichten sind dann nicht erwünscht. Das ist kein Boden, auf dem gute Forschung gedeihen kann. Dass der Report eigene Involviertheit konsequent ignoriert, erkennt man im Übrigen gut daran, dass das Thema Gender wie selbstverständlich von vier Frauen abgehandelt wird, so als seien Männer beim Thema Gender ohnehin nicht gemeint und Jungen „das genderlose Geschlecht“.

Was empfehlen Sie den Gender-Report-Autoren?

Wir empfehlen ihnen, sich mit den Methoden der empirischen Sozialwissenschaften, Schwerpunkt Erziehungswissenschaften, vertraut zu machen. Dazu gehört eine Basisschulung in Statistik und Wissenschaftstheorie.

Die sollen erst einmal explizit klar machen, welche Annahmen sie haben in Bezug auf Jungen und Mädchen, wo sie die herhaben und wie sie sie begründen, und dann, wo sie in den Daten für ihre Annahmen Anhaltspunkte finden, die diese stützen. Stützen die präsentierten Daten diese Annahmen dann nämlich tatsächlich – und nur dann! – wird man ihrer Argumentation folgen können. Widersprechen die Daten den Annahmen – und das ist im GR die Regel –, dann müssen diese Annahmen modifiziert und noch einmal getestet, oder schlicht verworfen werden; so geht Wissenschaft. Stattdessen wird im GR Widerlegtes wieder und wieder wiederholt. Der mythopädagogische Subtext des GR ist: „Auch wenn die präsentierten Daten unsere Annahmen widerlegen, so halten wir sie aus moralischen Gründen doch für wichtig und deshalb für richtig. Recorderis: Gegenrede ist frauenfeindlich.“

So kann man in der Politik legitim agieren, aber nicht in der Wissenschaft.  

Was müssen Politik und Bildungseinrichtungen nach Ihrer Ansicht tun, damit Jungen aus dem Bildungsabseits geholt werden?

Zuerst einmal muss das Thema Lernen und Geschlecht entideologisiert werden – entgenderisiert sozusagen. Staatlicherseits zwangsschulverpflichtete Kinder haben keine Ahnung, welche reproduktiven Aporien die Gesellschaft durchziehen und welcher Geschlechterkampf sich daraus entwickelt hat und weiterentwickelt. Es muss sie auch nicht interessieren, denn die wollen mit Neugier und vor allem in Sicherheit heranwachsen, dazu ist Schule da. Sie können, sollen und dürfen nicht – weder implizit oder explizit – damit beauftragt werden, die Themen, die unsere westlichen Gesellschaften im Moment zu zerreißen drohen, durch irgendeine diffuse neuartige Genderidentität zu lösen und so für ein besseres, durchgegendertes Morgen zu sorgen oder sonst irgendeinen utopischen Mist. Es muss also das Thema „Jungesein“ zuerst einmal entdramatisiert werden, es handelt sich hierbei ja weder um einen Defekt noch ein Vergehen. Und wenn Schulen ein Problem mit Jungen haben, so müssen die Schulen das lösen, nicht die Jungen.

Konkret müssen wir mutig und vernehmlich und immer wieder widersprechen. Heike Diefenbach und ich haben den Genderdamen der OECD – freundlich, detailliert und bestimmt – widersprochen, andere müssen unserem Beispiel folgen.

Zum Schluss noch: Die Genderwissenschaft hat ja den Ruf, nicht sehr kritikfähig zu sein. Hat Sie die Aufnahme ihres genderkritischen Artikels überrascht?

Die Annahme unseres genderkritischen Artikels in einem Journal wie „Gender and Education“ hat uns gefreut und anfangs auch etwas überrascht, zumal wir zwar hier und da einige rhetorische Floskeln eingeflochten hatten, aber inhaltlich absolut unbestechlich den Finger in die Wunde gelegt haben.  Es ist offensichtlich, dass die Genderstudien inzwischen unter erheblichem Legitimationszwang stehen und kritisch beäugt werden innerhalb der Akademie.  Aus diesem Grund sind – zumindest einige – inzwischen offensichtlich bereit, sich fundierter Kritik auch zu stellen und am akademischen Diskurs teilzunehmen.  Das könnte eine erfreuliche neue Entwicklung bedeuten, wenn sich da die Sektenspreu vom Wissenschaftsweizen trennte. 

Sehr geehrter Herr Prof. Meier, vielen Dank für dieses Interview.

Wer sich über die Thematik näher informieren möchten, dem empfehlen wir das Buch
Markus Meier: „Lernen und Geschlecht heute – Zur Logik der Geschlechterdichotomie in edukativen Kontexten“
Verlag: KÖNIGSHAUSEN & NEUMANN; 2015. 268 S.; ISBN/EAN: 9783826051012

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