Strukturen und Netzwerke der Gender Studies

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Der folgende Beitrag beleuchtet die Zusammenhänge zwischen dem feministischen Konzept des Gender Mainstreamings, der Genderpolitik und den Gender Studies.

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Als Ausgangspunkt dient ein Bericht über eine Tagung des „Netzwerks Genderforschung und Gleichstellungspraxis Bayern“ im Sommer 2017 an der Evangelischen Akademie in Tutzing am Starnberger See. Dort trafen sich eine Reihe führender Vertreterinnen der deutschen Gender-Szene, um über die von ihnen konstatierten Bedrohungen von Gender, Vielfalt und Demokratie durch Rassismus und Populismus zu beraten. Anhand der Organisation und der Beiträge zur Tagung werden institutionelle Strukturen und methodische Vorgehensweisen im Bereich der Genderforschung schlaglichtartig beleuchtet. Ein kurzer forschungsgeschichtlicher Rückblick zeigt die historischen Hintergründe der Netzwerke in diesem Bereich auf.

Im Rahmen der Frage nach der Ausbreitung der Gender Studies werden die entsprechenden Zahlen für den deutschsprachigen Wissenschaftsbetrieb diskutiert, wobei neben den Professuren mit expliziter Denomination Gender auch die zahlreichen Forschungszentren und Forschungsverbünde angesprochen werden. Eine besondere Rolle spielt das Phänomen der Subsumierung von Forschungsprojekten mit geschlechtsspezifischen Fragestellungen unter dem Label der Gender Studies – auch wenn diese Forschung nichts oder nur wenig mit dem methodischen Konzept der Gender Studies zu tun hat. Schließlich wird auf Bundes- und Länderebene sowie auf Hochschulebene das Zusammenspiel von Genderpolitik, Gender Mainstreaming und Gender Studies beleuchtet. Schwerpunkte liegen dabei auf der Rolle der politischen Stiftungen, der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz und der großen Forschungseinrichtungen, speziell der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Gender Studies und Diversitätsforschung

Der Begriff des Netzwerks spielt eine aufschlussreiche und paradoxe Rolle im Bereich von Gender Studies und Gender Mainstreaming: als negativ konnotiert verstandene Männernetzwerke sollen bekämpft werden durch als positiv konnotiert verstandene Frauennetzwerke. Belege für die Existenz solcher angeblicher Männernetzwerke werden dabei nicht angeführt, was nicht verwundert, denn bis auf wenige traditionelle bündische Vereinigungen wie einige Logen der Freimaurer und Studentenverbindungen gibt es keine solchen Netzwerke, die sich über den Ausschluss von Frauen oder gar eine explizite Ausrichtung gegen Frauen auszeichnen würden. Offenbar reicht für die Behauptung von den Männernetzwerken die feministische Vorstellung von der Existenz des großen, allumfassenden Netzwerks des Patriarchats aus, das alle Männer miteinander verbindet. Die real existierenden Netzwerke des Gender Mainstreamings dagegen sind inzwischen zu einem weitverzweigten Verbund von Strukturen herangewachsen, die unterstützt und finanziert werden von Institutionen des Staates, der Parteien und ihrer Stiftungen, Gewerkschaften und Kirchen. Ein breites Bündnis mit dem expliziten Ziel, die Ideologie des Gender Mainstreamings in der Gesellschaft zu verankern.1

Dieser Beitrag erschien in erweiterter Fassung in dem Buch Gender Studies – Wissenschaft oder Ideologie?

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Die politische Umsetzung des Gender Mainstreamings wird als Gender- oder Gleichstellungspolitik bezeichnet. Gender Studies bilden das ideologische Fundament dieser Gleichstellungspolitik. Sie sind entsprechend fest eingebunden in die Netzwerke und Strukturen des Gender Mainstreamings. Um der zunehmenden Kritik an ihrer einseitigen Lobbypolitik für bestimmte Frauengruppen zu entgehen und gleichzeitig ihren politischen Einfluss zu erweitern, haben die Repräsentanten von Gender Mainstreaming und Gender Studies eine folgenschwere Ausweitung ihres selbstreklamierten Kompetenzbereiches vorgenommen: Unter dem Begriff der Diversität (oder neudeutsch Diversity) erheben sie den Vertretungsanspruch für weitere sogenannte marginalisierte Gruppen, die als diskriminiert erklärt werden aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion, Behinderung und Alter – letztlich für alle, die nicht der angeblichen männlichen, heterosexuellen, weißen Führungsschicht angehören. In einer letzten Volte der Argumentation erhebt der Feminismus sogar den Anspruch, auch „die alten weißen Männer“ befreien zu wollen, denen es nämlich besser ginge, wenn sie nur erst von ihrer „toxischen Maskulinität“ befreit würden.

Mit dem Konzept der Diversität hängt das Prinzip der Intersektionalität zusammen, das die Kombination verschiedener Diskriminierungen oder Marginalisierungen bezeichnet;2 indem die angebliche Diskriminierung als Frau mit anderen angeblichen Diskriminierungen verbunden wird („schwarze, behinderte Transfrau“), wirkt dies quasi als Scharnier zur Vereinnahmung anderer Gruppen für die Bewegung des Feminismus.

War schon der Anspruch, für alle Frauen sprechen zu wollen, eine Fiktion, so trifft dies erst recht auf die unter dem Prinzip der Diversität subsumierten Bevölkerungsteile zu. Zwei Gruppen aber versuchen die Vertreterinnen der Gender Studies in verstärktem Maße in ihre ideologische Bewegung zu integrieren: Dies sind zum einen die Vertreter der sogenannten LGBT-Community (Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender), also Homosexuelle und sogenannte Transgender. Diese Gruppe ist mit etwa 1–3 Prozent an der Gesamtbevölkerung relativ klein.3 Sie war schon historisch traditionell in einigen Bereichen stark mit der feministischen Bewegung verbunden. Ein erheblicher Teil führender Vertreterinnen der zweiten und besonders der dritten Frauenbewegung waren bzw. sind Repräsentantinnen der Lesbenbewegung, die ihrerseits eng verzahnt mit der Schwulen- und Transgenderbewegung ist. Die seit einigen Jahren unter den sich immer weiter verzweigenden Schlagworten LGBT, LGBTQ oder zuletzt LGBTQIA (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer/Questioning, Intersex, Ally/Asexual) gemeinsam auftretenden, bzw. als solche vereinnahmten Gruppen wurden nun auch administrativ in die Gender Studies eingebunden, indem dort eigene Dozenturen für sogenannte Queerstudies eingerichtet wurden. Entsprechend dem Konzept der „Dekonstruktion der Heteronormativität“ sind Homosexualität und Transgender zudem zentrale Forschungsfelder der Gender Studies. Insbesondere das klinische Phänomen des Transsexualismus wird von den Vertretern der Gender Studies unter dem Begriff des Transgenderismus für ihr Gender-Modell instrumentalisiert, indem es die Existenz mindestens eines dritten Geschlechts sowie die Möglichkeit von Geschlechtswechsel verkörpern soll.

Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um die Menschen mit Migrationshintergrund. Dies sind in Deutschland nach der Definition des Statistischen Bundesamtes alle Personen, die entweder selbst nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurden oder die mindestens ein Elternteil haben, das nicht mit deutscher Staatsbürgerschaft geboren wurde. Bei dieser Gruppe gestaltet sich der Prozess erheblich mühevoller, schon weil diese Gruppe inzwischen knapp ein Viertel an der deutschen Gesamtbevölkerung stellt und ein außerordentlich breites gesellschaftliches Spektrum vertritt. Die Bemühungen der Diversitätsforschung sind dabei wie im Falle der Frauenforschung eng verzahnt mit politischen Interessen bestimmter Parteien. Bereits 2013 wurde in der „Forschungsevaluation Geschlechterforschung“ der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen, die insgesamt ein typisches Produkt der Gender Mainstreaming-Politik darstellt, dazu festgestellt: „Der Diversity-Ansatz ist eher ein politisches Konzept als ein wissenschaftliches Programm.“4 Ein Dilemma in diesem Zusammenhang stellen für die Gender Studies die gesellschaftlichen Probleme dar, die aufgrund der Ablehnung der Geschlechtergleichheit durch Teile der islamisch geprägten Migranten sowie den verstärkten Zuwachs vorwiegend junger männlicher Migranten entstehen.

Es erscheint den Vertretern der Gender Studies als erfolgversprechende Strategie, methodische Kritik an den Gender Studies grundsätzlich mit Kritik an Wissenschaft und der Institution Universität gleichzusetzen sowie als antidemokratische Position im rechten Spektrum politischer Parteien zu bezeichnen und dadurch zu diskreditieren. Beispielhaft sind dafür Argumentationsmuster in dem 2015 von Sabine Hark und Paula-Irene Villa herausgegebenen Band „Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen“.5 Dort wie auch in anderen Publikationen wird die Diskussion um die wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz der feministischen Theorien als Teil eines „Kulturkampfes der Gegenwart“ begriffen.6

Mit besonderem Argwohn beobachten die Vertreterinnen der Gender Studies, dass sich auch verstärkt Frauen gegen die Genderideologie verwahren. Indem die Anführerinnen des Feminismus den Anspruch erheben, für die Gruppe aller Frauen als angeblich diskriminierte Gruppe zu sprechen, wird die Distanzierung von Frauen von diesen Ansprüchen, Zielen und Methoden als Verrat empfunden – daher der besondere Hass von Feministinnen auf Frauen mit kritischer Einstellung zum Feminismus. Indem die feministische Theorie für diese Frauen die Diagnose gefunden hat, sie litten unter „internalisierter Misogynie“, können sie letztlich ebenfalls als Opfer des Patriarchats verbucht werden.

Fallbeispiel Gendertagung „Gender – Vielfalt – Demokratie. Bedrohungen durch Rassismus und Populismus“

Beispielhaft soll die Verzahnung von Institutionen und das Zusammenspiel von Strukturen und Netzwerken der Gender Studies vorgeführt werden an einer Tagung zum Thema „Gender – Vielfalt – Demokratie. Bedrohungen durch Rassismus und Populismus“, die vom 23. bis 24. Juni 2017 an der Evangelischen Akademie Tutzing stattfand.7

Eingeladen zur Tagung hatten die Evangelische Akademie Tutzing und das Netzwerk Genderforschung und Gleichstellungspraxis Bayern (NeGG). Kooperationspartner waren die Gleichstellungsstelle der Landeshauptstadt München, das Städtische Klinikum München, die Frauenakademie München e.V., die TU München, die Universität Augsburg, die Hochschule für Angewandte Wissenschaften München, das Deutsche Jugendinstitut, die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Landshut und die Sektion Geschlechterforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Die Tagung wurde – wie in Vorankündigung und im Flyer ausdrücklich vermerkt – „zu einem erheblichen Teil aus Kirchensteuermitteln finanziert“.

Das Tagungsteam bestand aus 14 Personen als Vertreter der genannten Institutionen: Dr. Ulrike Haerendel als Referatsleiterin für Soziales, Familie und Generationen, Geschlechter- und Gleichstellungsfragen, Geschichte sowie stellvertretende Direktorin der Evangelischen Akademie (von diesem Amt trat sie im Juli 2017 zurück), Birgit Erbe, Agnes Lang und Sabrina Schmitt von der Frauenakademie München (FAM), Dr. Stephanie Handschuh-Heiß (TUM.Diversity, Büro für Gender Management, Wissenschaftszentrum Weihenstephan, Technische Universität München), Dr. Karin Jurczyk (Deutsches Jugendinstitut e.V., München), Nicol Lassal (Gleichstellungsstelle für Frauen, LH München), Dr. Marion Magg-Schwarzbäcker, Büro für Chancengleichheit, Universität Augsburg), Anja Quindeau (TUM.Diversity, Stabsstelle Chancengleichheit, Technische Universität München), Prof. Dr. Maria S. Rerrich (Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften, Hochschule München), Dr. Andrea Rothe (Stabsstelle Betriebliche Gleichbehandlung, Städtisches Klinikum München GmbH), Dr. Susanne Schmidt (Forschungsverbund ForGenderCare München), Prof. Dr. Barbara Thiessen (Lehrstuhl für Gendersensible Soziale Arbeit, Hochschule Landshut), Prof. Dr. Paula-Irene Villa (Lehrstuhl Soziologie/Gender Studies, Ludwig-Maximilians-Universität München).

Das Tagungsteam bestand ausschließlich aus Frauen, unter den „Referentinnen und Referenten“ fanden sich ebenfalls ausschließlich Frauen, unter den weiteren 76 gemeldeten Teilnehmern (im Gendersprech der Tagung „Teilnehmende“ genannt) fanden sich 71 Frauen.

Bereits in ihrer Begrüßung gibt Ulrike Haerendel die Richtung vor mit dem durch Judith Butler geprägten Begriff des „Gender Trouble“, der nach Haerendels Einschätzung jetzt zur Kennzeichnung der aktuellen Debatten um Zuwanderung und Gesellschaftspolitik verwendet werden könne. Die Grundfrage sei, wie die Feministinnen solidarisch zusammenrücken könnten „mit eingewanderten und anderen Menschen“, die „aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Sexualität, ihres Alters, ihrer Herkunft und Religion sowohl als Personen wie auch als soziale Gruppe heftigen Angriffen ausgesetzt sind“.8

Damit hat Frau Haerendel diejenigen Gruppen genannt, die seit einigen Jahren im Zuge des sogenannten Diversitätskonzeptes als vorgeblich diskriminierte oder marginalisierte Bevölkerungsteile von den Vertretern des GS vereinnahmt werden. Das bereits oben angesprochene Dilemma für die die Genderbewegung tragenden Feministinnen entsteht nun allerdings dadurch, dass sich in der als potentielle Verbündete zu vereinnahmenden Gruppe der Migranten eine Vielzahl von Menschen vor allem islamischen Glaubens findet, die der Gleichberechtigung der Geschlechter oder dem feministischen Weltbild tendenziell ablehnend gegenüberstehen. Dies wird auch in der feministischen Szene heftig und kontrovers diskutiert. Haerendel betont grundsätzlich die Bedeutung des Netzwerks Genderforschung und Gleichstellungspraxis Bayern (NeGG), das seit 2007 ca. 80 Forscherinnen in ihrem Streben nach Umsetzung der Gleichstellungspolitik vereine. Aktuell sei es vor allem nötig, dem „Aggressionsdrang“ in der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen.

Frau Professor Barbara Thiessen vom Lehrstuhl Soziologie/Gender Studies der LMU München skizziert als Sprecherin des Tagungsteams die Ausgangssituation der Tagung, indem sie betont, dass Frauenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus zusammenpassten. Es gäbe zunehmenden „Gegenwind gegen die Gender Studies“, die unter Ideologieverdacht gestellt und deren wissenschaftliche Kategorie infrage gestellt würden – auch in Bayern! Die CSU weise antigenderistische Tendenzen auf. Wenn Sexismus von Rechtspopulisten zum Thema gemacht würde, dann seien das „falsche Freunde“!

Das erste Referat hält Frau Professor Sabine Hark, die Leiterin des Zentrums für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG) an der Technischen Universität Berlin. Frau Hark ist eine der Frontfrauen der Gender Studies und der Lesben-Bewegung mit zahlreichen Auftritten auch in den Medien. Frau Hark referiert zum Thema „Demokratische Kultur, Anerkennung von Vielfalt, sozialer Zusammenhalt – bedrohte Werte in Zeiten des Rechtspopulismus?“. Als Referenz verweist sie auf bereits vorgelegte Arbeiten zur Verbindung zwischen Antigenderismus und Rechtspopulismus, entstanden im Rahmen der Parteienstiftungen Heinrich-Böll-Stiftung und Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie führt als Beispiel eine Abgeordnete der AfD im Berliner Senat an, die sich selbst als „Hardcore-Feministin“ bezeichne und ihr rechtspopulistisches Engagement mit der antiislamischen Haltung der AfD begründe.9 Frau Hark konstatiert, es gäbe „neoautoritäre Bewegungen“ mit einer Ausrichtung gegen Gender Mainstreaming und Gender Studies. Die AfD habe die Abschaffung der Gender Studies explizit zum politischen Ziel erklärt und auch die CSU positioniere sich in ihrem Grundsatzprogramm gegen die Gender Studies. Geschlechterforschung an deutschen Universitäten werde zunehmend infrage gestellt.

Gegen derartige Tendenzen beschwört Frau Hark das Bündnis des Feminismus mit dem Staat seit der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995: „Wir haben diese Rechte mit dem Staat erkämpft!“ In bemerkenswerter Offenheit führt sie aus: „Obwohl dieses Bündnis von Feminismus und Staat aus einer emanzipatorischen Perspektive auch kritisch reflektiert werden muss, gibt es doch an vielen Punkten keine Alternative dazu. Daher ist es eben nicht nur ideologische Rede, wenn die AfD und entsprechende andere Kräfte sagen: Die in Brüssel sagen uns jetzt, wie wir unsere Beziehung leben sollen und wie wir unsere Kinder erziehen sollen usw. Das ist ja in der Tat so.“10 Kritik an den Gender Studies wird dann gleichgesetzt mit Kritik an der Migrationspolitik und an der Rolle des Islam und sie resümiert: „Die mitunter ausufernde Hetze gegen Migranten, den >Islam<, aber eben auch gegenüber den >Genderistas< (…) muss daher auch als Teil eines Rachefeldzuges gegen das Establishment und eine Befreiung von den Gefühls- und Sprachnormen der politisch korrekten Umgangsformen verstanden werden.“

Bereits an dieser Stelle und später noch mehrfach auf der Tagung wird deutlich: Die Vertreterinnen der Gender Studies sind sich der Tatsache durchaus bewusst, dass ihre Erfolge Folge der staatlichen Unterstützung spätestens seit dem EU-Vertrag von Amsterdam 1999 sind. Gerade im Falle des Feminismus hat sich der Marsch durch die Institutionen als Erfolgsrezept gezeigt. Im Gewand des Gender Mainstreamings ist ein „Staatsfeminismus“ etabliert worden, den es nun zu verteidigen gilt. Der Staat als Verbündeter.

Ein gewisses Paradoxon besteht darin, dass sich viele der Kämpferinnen immer noch gerne in der Nachfolge linker anarchistischer und damit staatsfeindlicher Kräfte sehen, gleichzeitig aber eifrig danach rufen, dass der Staat die ihnen eingeräumten Privilegien schützen solle! Frau Hark sieht die von ihr konstatierte „schleichende Revolution des Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte“ in einem direkten Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes. Sie erkennt „heterorassistische und neoimperialistische Tendenzen weltweit“. Dagegen müsse die Vielfalt der Meinungen eingefordert werden, wie dies schon Hannah Arendt getan habe. Selbst auf der „linken Seite“ gebe es Anti-Genderpolitik, wie die Rede von Cem Özdemir auf dem letzten Parteitag der Grünen am 16. Juni 2017 gezeigt habe.11 Die Durchsetzung eines „autoritär grundierten Neoliberalismus“ in Deutschland setzt Frau Hark in Beziehung zur „sozialdemokratischen Politik der Flexibilisierung und – im Ergebnis – der Prekarisierung der Erwerbsarbeitsmärkte“ in den vergangenen beiden Jahrzehnten (Stichwort: Agenda 2010).

Im Rahmen ihres Referates führt Frau Hark weder Belege für die postulierte Verbindung zwischen dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes und der „schleichenden Revolution des Neoliberalismus“ an noch für die Verbindung zwischen den neoliberalen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und dem Aufkommen eines Rechtspopulismus. Ihre Argumente bleiben auch auf Nachfrage aus dem Publikum völlig unwissenschaftlich und bestehen lediglich aus vagen Gefühlen: „Ich habe das Gefühl, dass dieser Zusammenhang besteht, – und ich bin mit diesem Gefühl nicht allein!“

Der zweite Vortrag wird gehalten von Frau Professor Beate Küpper, Sozialpsychologin und stellvertretende Institutsleiterin am Institut für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen (SOCON) am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Niederrhein. Ihr Thema ist „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Wie entwickeln sich Antigenderismus und Rassismus?“. Zunächst stellt Frau Küpper fest, dass rechtspopulistische Einstellungen bei Frauen und Männern in Deutschland weitgehend identisch weit verbreitet seien. Hierin und in weiteren Urteilen stützt sich Frau Küppers auf die Befragungen im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, die auf einem Langzeitprojekt der Universität Bielefeld aufbauen – von Frau Küppers kurz als „Menschenfeindlichkeitsstudie“ bezeichnet, konkret die Umfrage für das Jahr 2016.12 Die „Menschenfeindlichkeitsstudie“ wird mit folgenden Ergebnissen zitiert: 40% der Befragten hätten der Aussage zugestimmt „die deutsche Gesellschaft wird durch den Islam unterwandert“, 28% der Aussage „die regierenden Parteien betrügen das Volk“, 19% der Aussage „Deutschland wäre ohne die EU besser dran“. Frau Küpper beklagt außerdem, dass neurechte Strömungen an Raum gewönnen, so etwa in Gestalt des Publizisten Roland Tichy, der unter Verweis auf den verstorbenen Altkanzler Helmut Schmidt seine im Presseclub auf dem TV-Sender Phönix geäußerte Aussage zu legitimieren suche, dass „auf unseren Straßen Religionskrieg herrsche“. Ihr Vortrag kulminiert unter Bezug auf das Buch von Michael Kimmel „Angry white men“ aus dem Jahr 2013 in der Aussage, „alte weiße Männer reden besonders gerne über das muslimische Kopftuch“. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Dem Vortrag von Frau Professor Küpper mangelt es sowohl an einer Fragestellung als auch an einer relevanten Auswertung der von ihr vorgestellten Statistiken.

In der anschließenden sogenannten Fishbowl Diskussion, bei der sich Tagungsteilnehmer selbst in den Kreis der Diskutanten begeben und wieder herausgehen können, betont Frau Professor Paula-Irene Villa, dass der Populismus sich selbst als Opfer stilisiere. Die Ablehnung des Kopftuches im Unterricht sei in Wahrheit eine Ablehnung des Islams generell – und die Ablehnung des Kopftuches im Unterricht sei daher eine rechtspopulistische Einstellung. Frau Professor Thiessen fordert wie zuvor Frau Hark eine „Ethik der Differenziertheit“ ein. Abschließend bedauert Frau Küpper, dass „Genderaspekte in der Forschung in NRW wieder rausgestrichen werden sollen, während bisher in jedem Antrag das Wort Gender zumindest genannt werden musste!“

Der Vortrag der Aktivistin Peggy Piesche vom Verein ADEFRA (Kürzel für: afrodeutsche Frauen), Literatur- und Kulturwissenschaftlerin an der Academy of Advanced African Studies an der Universität Bayreuth, fällt aus. Der Abend klingt aus mit „Gesprächen & Networking in den Salons“.

Am 24. Juni eröffnet nach der „Andacht in der Schlosskapelle“ Frau Esther Lehnert, Professorin für Geschichte, Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus an der Alice Salomon Hochschule Berlin, den Tag mit ihrem Impulsvortrag zum Thema „Was macht rechtsextreme/rechtspopulistische Positionen für Frauen attraktiv?“. Sie konstatiert unter Verweis auf die Untersuchungen des Sozialwissenschaftlers Alexander Häusler eine „proklamierte Abkehr“ vom Nationalsozialismus durch Rechtsextreme. Was aber die Einstellung zu den Rollenbildern von Frau und Mann betreffe, so herrsche „in der gesamten Rechten ein biologisiertes Geschlechterrollenmodell“. In diesem Bereich gebe es keine modernisierte Variante des Rechtsextremismus. Stattdessen gebe es eine Abwehrhaltung gegen „Femokratie“. Im Folgenden stellt Frau Lehnert in ihrer Powerpointpräsentation mitsamt Fotos einige Vertreterinnen rechtsextremer Positionen beispielhaft vor, zunächst Melanie Schmitz, das sogenannte IT-Girl der „Identitären“. Gezeigt werden auch Mitglieder des mittlerweile aufgelösten Thüringer Mädelbundes, dessen Mitglieder sich als nationale Feministinnen verstanden hatten. Besonders hervorgehoben werden zwei weitere Frauen, die dem Feminismus ablehnend gegenüberstünden, nämlich Melanie Dittmer und Alice Weidel. Bei beiden wird ihr offenes Lesbentum thematisiert. Dies wird als eine besonders infame Form des Überläufertums gebrandmarkt.13

In einem weiteren Impulsreferat spricht die Beauftragte für Chancengleichheit von Frauen und Männern der Evangelischen Landeskirche in Württemberg Frau Ursula Kress zum Thema „Gleichstellungspolitik und neue Anfeindungen“. Sie referiert zunächst über den Stand der Gleichstellung in den evangelischen Landeskirchen. Es gibt 17 Landesgleichstellungsbeauftragte. Das Genderzentrum DEKT in Stuttgart sei vom Theologieprofessor Reinhard Slenczka (Erlangen) in einem kritischen Gutachten mit dem Titel „Mit welchen Gründen von Vernunft und Recht wird die Ideologie des Genderismus in Politik, Kirche und Schulen eingeführt und aufgezwungen?“ evaluiert und folgendermaßen beurteilt worden: „Die Ideologie des Gender Mainstreamings ist in den evangelischen Kirchen heute beherrschend …“. Anschließend stellt Frau Kress den von der evangelischen Kirche produzierten Kurzfilm „Eine Tür ist genug“ vor, in dem anhand des Themas Toilettenbenutzung die Themen Geschlechtsidentitäten und sexuelle Ausrichtungen behandelt werden.14 Sie verweist zudem auf ein Zitat des Aktivisten Martin Speer in einem Artikel in der ZEIT vom 14. Juni 2017, wonach „Gender Studies eine Übung in Mitmenschlichkeit“ seien. Abschließend bemerkt Frau Kress bedauernd, dass eine Frauenquote von 50 Prozent in den Leitungsstellen der evangelischen Landeskirche in Württemberg wohl illusorisch, weil nicht umsetzbar sei. Dem Vortrag mangelt es grundlegend an wissenschaftlicher Methodik, stattdessen spiegelt er in protestantischer Betroffenheits-Rhetorik lediglich die persönlichen Eindrücke von Frau Kress als Frauenbeauftragte in der Landeskirche Württemberg wider.

In den folgenden parallel laufenden Workshops werden „(Gegen-)Strategien“ zu folgenden Themen diskutiert: „1. Frauen in der extremen Rechten 2. „Postfaktische Politik“ und „Fake News“ – Herausforderung etablierter Medien? 3. Gleichstellungsarbeit unter Druck 4. Mechanismen der Diskriminierung erkennen, das eigene Handlungsspektrum in einer pluralen Gesellschaft erweitern 5. Geschlechterreflektierende Prävention von Rechtsextremismus – Ansätze in Pädagogik und Zivilgesellschaft.“

Eine abschließende Podiumsdiskussion behandelt das Thema „Anti-Genderismus in Europa“. Die Moderation obliegt Frau Professor Paula-Irene Villa, Lehrstuhlinhaberin für Soziologie/Gender Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität München und neben Sabine Hark die zweite „Frontfrau“ der Gender Studies in den deutschen Medien. Teilnehmer sind Frau Professor Bozena Choluj, Lehrstuhlinhaberin für Deutsch-Polnische Kultur- und Literaturbeziehungen und Gender Studies an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und Professorin für Literaturwissenschaft/Gender Studies am Institut für Germanistik der Universität Warschau, Meera Jamal, Journalistin aus Wiesbaden und Marion Chenevas, Vorstandsmitglied im Verein „Ärzte der Welt e.V.“ und Geschäftsführung Gesundheitsbeirat der Stadt München.

Marion Chenevas berichtet zunächst über den zunehmenden Widerstand in Frankreich gegen die „theorie du gend“ – übrigens selbst im Französischen ein Neologismus des englischen Begriffs. So schlossen sich seit 2011 mehr als 80 Abgeordnete und 130 Senatoren dem Protest von Elterninitiativen gegen gegenderte Schulbücher an. Eine seit 2014 an 600 Grundschulen angelaufene Kampagne zur Bekämpfung von Geschlechtsstereotypen musste aufgrund von weitreichenden Elternprotesten eingestellt werden. Marion Chevenas sieht dahinter ein unheilvolles Bündnis aus katholischen Konservativen und dem Front National (FN) am Werk, deren Argumente sie so zusammenfasst: Gender sei ein Import aus den USA und fördere einen hemmungslosen Neoliberalismus.

Bozena Choluj führt die Ursprünge der polnischen Frauenstudien zurück auf das sozialistische Universitätssystem Polens. Nach der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking kam es ab 1996 zur Gründung von Gender Studies in Polen. Für das stark katholisch geprägte Polen verknüpft sie die Entwicklung von Feminismus und Gender Studies mit den Einstellungen der jeweiligen Päpste. So habe es zur anlässlich der Weltfrauenkonferenz 1995 einen Brief an die Delegierten von Papst Johannes Paul II. gegeben, der den „neuen Feminismus“ grundsätzlich unterstützte. Dagegen sei Papst Benedikt schon als Kardinal Ratzinger ein Gegner der Gender-Ideologie und ihrer These gewesen, nach der Heterosexualität und Monogamie nur Möglichkeiten seien. Das Aufkommen einer kritischen Diskussion über die Gender Studies seit dem Jahr 2012 erklärt Choluj mit einer Art Verschwörungstheorie. In Wahrheit hätte mit der Diskussion über die Verteidigung der polnischen Kirche und Familie gegen die EU-geförderte Genderideologie nur das Thema des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche sowie die Zusammenarbeit von Kirche und Geheimdienst überdeckt werden sollen. Seit dem Jahr 2015 schließlich überlagere in Polen das Thema Migration die Genderdebatte. Der polnische Staat und die Kirche verträten einen überholten Differenzfeminismus.15

Die aus Pakistan stammende und nach Deutschland geflüchtete Journalistin Meera Jamal schildert, dass sich nach ihrer Erfahrung Frauendiskriminierung in Flüchtlingsheimen, Gemeinschaftswohnungen oder Studentenheimen fortsetzte – ausgeübt durch arabische Männer und ältere arabische Frauen. Es gebe also eine Fortsetzung des kulturellen Systems in den „Ghettos“ in Deutschland. Frauen- und Männerrollen blieben in diesen Gemeinschaften auch in Deutschland bestehen. Jamals spricht in diesem Zusammenhang von einer „asiatischen und arabischen Mentalität“, die vorwiegend islamisch geprägt sei, aber auch Teile Indiens und des christlichen Afrikas betreffe.

Frau Villa beklagt, dass der Begriff Gender zunehmend diskreditiert werde und fordert eine „überstaatliche Intervention des Gender Mainstreamings“ gegen diese Entwicklung. Frau Choluj sieht einen „Krieg um die Frauen“, d. h. einen Kampf um die Verfügbarkeit über die Frauen. Sie führt an, dass etwa 38 Prozent der Mitglieder des Front National in Frankreich Frauen seien, in Deutschland gebe es etwa 15 Prozent weibliche AfD Mitglieder. Die Vorsitzende des FN Marine le Pen positioniere sich deutlich gegen Parität und Frauenquote. Im Zusammenhang mit den Positionen in der Kirche sieht Frau Choluj die polnische katholische Kirche in einer starken „matronalen Tradition“, dagegen seien die Kirchen in Deutschland vielleicht aufgrund einer gewissen Saturiertheit weniger gegen Gender ausgerichtet. Frau Jamal fordert, die Migranten und Einwanderer sollten alle einen Nachweis über die Kenntnis der deutschen Gesetzeslage führen müssen. Aus dem Publikum kommt von der Leiterin der Gleichstellungsstelle München Nicole Lassal der Einwurf, Frauendiskriminierung sei auch ein Ghettophänomen und die Analyse von Meera Jamal spiele den Abgeordneten der „Rechten“ in die Hände. Die Differenzierung zwischen Immigranten und Deutschen sei Rassismus. Auch Birgit Erbe von der Frauenakademie München fordert Frau Jamal auf, doch „kein Wasser auf die Mühlen der Rechten zu gießen!“ Frau Jamal führt dagegen aus, dass die Mentalität der arabischen, afrikanischen und asiatischen Männer auch außerhalb der Flüchtlingsheime fortbestehe. Sie fordert, diese Männer müssten die notwendigen Informationen über angemessenes Verhalten in Europa erhalten. Frau Villa erklärt, die Auseinandersetzung über die Verfügbarkeit über den weiblichen Körper sei ein universelles Phänomen, das auch in Deutschland wirksam sei. Frau Choluj sieht darin geradezu einen Krieg um Frauen und damit einen Krieg der Geschlechter. Das Verhältnis der Geschlechter zueinander werde die politische Zukunft bestimmen. Dabei müssten bei allen Wünschen nach Differenzierung auch alltägliche Dinge beachtet werden: Wenn etwa zu viele Männer an einem Ort seien, dann gäbe es dort Probleme. 2016 seien daher Asylheime nur für Frauen und Kinder eingeführt worden. Die Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung sei in diesem Falle aber mit guten Gründen unterdrückt worden, um den Rechten keine Argumente zu liefern. Aus dem Publikum kommt die Forderung, die „Migrantenmänner“ müssten gemaßregelt werden, wenn sie die Frauenrechte nicht achten – das solle bis zum Mittel der Ausweisung gehen. Aus dem Publikum der Zwischenruf: „Und wer fordert das von den deutschen Männern?“

Seltsam abgehoben von dieser durch die Äußerungen von Frau Jamal ausgelösten Diskussion hält Frau Choluj eine Art Schlusswort und versteigt sich zu der Behauptung, Gender sei als eine Aufhebung der Grenze zwischen Natur und Kultur zu begreifen.

Während Meera Jamal vor allem auf der Ebene persönlicher Erfahrungen über Geschlechterverhältnisse in islamisch geprägten Gesellschaften in den Heimatländern und in Migrationskontexten spricht und dabei sichtlich bemüht ist, alltägliche Unterdrückung von Frauen durch Gesellschaftstrukturen in Teilen afrikanischer, arabischer und asiatischer Kulturen sowohl in den Heimatländern wie in den Migrantengruppen aus diesen Regionen aufzuzeigen, fehlt es den anderen Teilnehmern an der Diskussion und den übrigen Rednerinnen der Tagung offensichtlich an einer Differenzierung zwischen dem Phänomen des Rassismus und einer Kritik an bestimmten religiösen Tendenzen des Islam. Kritik an islamischer Religion als Grundlage gesellschaftlicher Strukturen wird vielmehr gleichgesetzt mit Rassismus.

Historische und gesellschaftliche Analysen werden durch stereotype moralische Appelle ersetzt, die bestimmte politische Positionen – hier insbesondere den Einsatz für die sogenannten LGBTQ-Rechte und gegen Rassismus – mit feministischen Positionen verbindet, ja gleichsetzt. Im Umkehrschluss ist für die Vertreter dieses linken Feminismus klar: Wer kein Feminist ist, ist rechts! Kritik an der ideologisch politischen Ausrichtung der Gender Studies und ihrer Vertreterinnen wird reflexartig als rechtspopulistisch oder faschistisch diskreditiert – eine bewährte und durchsichtige Taktik, um sich einer sachlich fundierten Auseinandersetzung zu entziehen.16 Man kann in diesem Zusammenhang trennen zwischen den praktischen, politischen Aktionen des Feminismus, der sich in der Diffamierung missliebiger Personen (shitstorm, öffentliche Bloßstellung, Druck auf Arbeitgeber usw.) äußert, und der systematischen Immunisierung auf Theorieebene durch die Verabsolutierung von persönlichem Erleben (lived experience), die jede Kritik an der feministischen Wirklichkeitsdeutung (Patriarchat, gläserne Decke, rape culture) obsolet werden lässt. Die bewusste Unterdrückung von journalistischer Berichterstattung kann aus feministischer Sicht dann gutgeheißen werden, wenn dadurch „den Rechten“ keine Argumente geliefert werden.

Grundsätzlich fehlt es der Tagung an wissenschaftlich fundierter Methodik. Die vorgetragenen Argumentationen sind stark zirkulär, wobei Selbsterfahrungen verabsolutiert werden. Auffallend ist das offensichtliche Gefühl einer Bedrohung der eigenen feministischen Pfründe durch einen angeblichen neuen rechtspopulistischen Antigenderismus, dessen Auswirkungen die anwesenden Feministinnen aber bis hinein in das Lager der sogenannten etablierten Parteien erkennen wollen.
Ambivalent bis schizophren ist das Verhältnis zum Staat, der von diesem Lager einerseits traditionell als politischer Feind betrachtet wird, andererseits sind inzwischen praktisch alle Anwesenden Repräsentantinnen des Staatsfeminismus. Das grundsätzliche Problem besteht in diesem Zusammenhang darin, dass mit den Worten von Sabine Hark und Paula-Irene Villa „Gender“ als „kritisches Werkzeug“ zur „Artikulation von Machtverhältnissen“ verstanden wird,17 dass Feminismus grundsätzlich als „transformative Politik“ definiert wird, wobei „Frauen- und Geschlechterforschung sich als Forschung und Theoriebildung in oppositioneller, gesellschaftlicher Perspektive“ entwickelt habe.18

Der schlaglichtartige Blick auf die Tagung in Tutzing zeigt, wie eine solche Gendertagung organisiert ist: Als Gastgeber und Organisator fungiert in diesem Falle eine Einrichtung der evangelischen Kirche, „die Tagung wird zu einem erheblichen Teil aus Kirchensteuermitteln finanziert“. Es wird ein Tagungsteam aus den (ausschließlich weiblichen) Mitgliedern eines Netzwerkes namens Genderforschung und Gleichstellungspraxis Bayern gebildet, dem Dozentinnen der Gender Studies und Soziologinnen verschiedener Hochschulen sowie Frauenbeauftragte bzw. Gleichstellungsbeauftragte bzw. Diversitätsbeauftragte verschiedener Institutionen angehören. Dieses Zusammenspiel zwischen den Genderforschern und den administrativen Genderbeauftragten ist charakteristisch für die ganze Gender-Szene. In der Folge erscheinen alle diese Institutionen als Kooperationspartner der Veranstaltung; auf diese Weise kommt eine beeindruckende Liste von Institutionen zusammen, die der Öffentlichkeit wissenschaftliche Kompetenz suggeriert. Als Referentinnen treten Professorinnen der Gender Studies und der Soziologie, Funktionsträgerinnen universitärer und kirchlicher Organisationen sowie eine Journalistin auf, die ausschließlich feministische Positionen vertreten. Das Publikum besteht ebenfalls fast ausschließlich aus bekennenden Feministinnen. Es kann kaum überraschen, dass sich an keiner Stelle im Programm und nur an wenigen Punkten der Diskussionen eine Vielfalt von Meinungen niederschlägt, die gleichwohl geradezu reflexartig von den Referentinnen eingefordert wird (so gleich zu Beginn von Frau Hark unter Berufung auf Hannah Arendt).

Der ganze Beitrag kann in dem Sammelband gelesen werden: Harald Schulze-Eisentraut/Alexander Ulfig (Hrsg.), Gender Studies – Wissenschaft oder Ideologie? Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2019.

Anmerkungen

1 Zur Rolle von Gender Mainstreaming im deutschen Wissenschaftsbetrieb s. Harald Schulze-Eisentraut, Gender-Mainstreaming. Wie eine Ideologie die deutschen Hochschulen infiltriert, in: Harald Schulze-Eisentraut – Torsten Steiger – Alexander Ulfig, Die Quotenfalle. Warum Genderpolitik in die Irre führt (München 2017) S. 215–239.
2 Nimmt man zur Liste der möglichen Diskriminierungen oder Marginalisierungen dann noch gesellschaftspolitische Differenzierungen hinzu, so ergibt sich eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten. Und so schlussfolgert denn auch etwa Gero Bauer, Die (De)Naturalisierung von Homophobie, in: ders. – Regina Ammicht Quinn – Ingrid Hotz-Davies (Hrsg.) Die Naturalisierung des Geschlechts. Zur Beharrlichkeit der Zweigeschlechtlichkeit (Bielefeld 2018) S. 147: „Die denkbaren und relevanten Verschränkungen lassen sich ins beinahe Unendliche multiplizieren und alle wären es wert, von einer institutionellen und gesamtgesellschaftlichen Politik berücksichtigt zu werden.“
3 Die letzte repräsentative Emnid-Umfrage zum Anteil der Homosexuellen an der Bevölkerung in Deutschland aus dem Jahr 2000 ergab, dass sich 1,3 Prozent der befragten Männer und 0,6 Prozent der Frauen als homosexuell einstuften, 2,8 bzw. 2,5 Prozent der befragten Männer und Frauen stuften sich als bisexuell ein. Ähnliche Zahlenverhältnisse ergaben Umfragen aus den Jahren 2001 bis 2012 in den USA, Großbritannien, Kanada und Australien, s. https://de.wikipedia.org/wiki/Homosexualit%C3%A4t#Demografische_H%C3%A4ufigkeit (abgerufen 28.1.2019).
Der Anteil der von Transsexualismus betroffenen Personen an der Gesamtbevölkerung ist umstritten. Dies resultiert aus Problemen bei der Erhebung sowie der Definition des Phänomens. Die „Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität“ nennt für Deutschland die Zahl von 20.000 bis 80.000 „Trans*Personen“, das wären also zwischen 0,02–0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Für die USA stufte „The Diagnostic and Statistical Manuel oft he American Psychiatric Association 2013“ dagegen 0,0035 Prozent der Bevölkerung als transsexuell ein. Axel Meyer, Adams Apfel und Evas Erbe. Wie die Gene unser Leben bestimmen und warum Frauen anders sind als Männer (München 2015) S. 166–193, 348–361 fasst den Faktenstand zu den chromosomalen und genetischen Hintergründen zusammen und geht von weniger als 0,01 Prozent aus (S. 349), verweist aber auf Schätzungen, die von einer höheren Häufigkeit (0,1–0,3 Prozent) von Gender Dysphoria ausgehen, also dem Gefühl, sich in seinem Geschlecht nicht wohl zu fühlen. Unter dem Begriff Transgender werden beide Phänomene bzw. die davon betroffenen Personen zusammengefasst, was methodisch problematisch erscheint.
4 http://www.wk.niedesachsen.de/download/75596 (abgerufen 21.1.2019) S. 17
5 Sabine Hark – Paula-Irene Villa (Hrsg.) Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen (Bielefeld 2015) s. etwa die Einleitung von Sabine Hark und Paula-Irene Villa „Anti-Genderismus“ – Warum dieses Buch? S. 7–13 bes. S. 9; diess., „Eine Frage an und für unsere Zeit“. Verstörende Gender Studies und symptomatische Missverständnisse, S. 15–39 bes. S. 33; Juliane Lang, Familie und Vaterland in der Krise. Der extrem rechte Diskurs um Gender, S. 167–181; Jasmin Siri, Paradoxien konservativen Protests. Das Beispiel der Bewegungen gegen Gleichstellung in der BRD, S. 239–255. Man vgl. auch Gabriele Dietze, Anti-Genderismus intersektional lesen, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft 13, 2/2015, S. 125–127.
6 Kathrin Ganz – Anna-Katharina Meßmer, Anti-Genderismus im Internet. Digitale Öffentlichkeiten als Labor eines neuen Kulturkampfes, in: Sabine Hark – Paula-Irene Villa (Hrsg.) Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen (Bielefeld 2015) S. 59–77.
7 Die folgende Zusammenfassung basiert auf den Tagungsunterlagen und Protokollen der Referate und Diskussionen. Auf der Tagungsseite https://www.ev-akademie-tutzing.de/veranstaltung/gender-vielfalt-demokratie/ sind einige der Tagungsbeiträge freigeschaltet nach Eingabe des Kennworts der Tagungsunterlagen.
8 Zitat nach dem Text von Ulrike Haerendel im Flyer zur Tagung „Gender – Vielfalt – Demokratie. Bedrohungen durch Rassismus und Populismus“, Evangelische Akademie Tutzing 2017.
9 Die Bemerkung fällt außerhalb des Redemanuskripts von Sabine Hark. Gemeint ist vermutlich Sybille Schmidt, ehemalige linke Szeneaktivistin und SPD-Mitglied, die seit September 2016 parteilose Bezirksverordnete für die Fraktion der AfD des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg ist.
10 Anders als in diesem internen Referat die Gewichtung der Argumentation in Sabine Hark – Paula-Irene Villa, „Eine Frage an und für unsere Zeit“. Verstörende Gender Studies und symptomatische Missverständnisse, in: diess. (Hrsg.) Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen (Bielefeld 2015) S. 15–39, wo das Bemühen dahin geht, eine Verbindung von Gender Studies mit dem Staat und der Brüsseler EU-Bürokratie eher kleinzureden. Gleichsetzungen von Gender Studies, Gender Mainstreaming, Feminismus und Staatsräson werden als typische und verleumderische Unterstellungen der „anti-genderistischen“ Seite hingestellt, s. S. 23.
11 Bemerkung außerhalb des Redemanuskripts.
12 Andreas Zick – Beate Küpper – Daniela Krause: Gespaltene Mitte –Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016: https://www.fes.de/gespaltene-mitte-rechtsextreme-einstellungen-2016/ (abgerufen 21.1.2019).
13 Hintergrund ist die enge Verzahnung von Lesbentum und Genderfeminismus. Der hohe Anteil von lesbischen Führungsfunktionärinnen im Genderfeminismus hängt zusammen mit der Ablehnung von sogenannter heteronormativer Sexualität zugunsten einer rein auf Frauen beschränkten lesbischen Sexualität. Entwicklungen der modernen Reproduktionsmedizin machen dabei eine Fortpflanzung auch ohne direkte Beteiligung von Männern möglich – für einige Vertreterinnen ein Schritt hin zur Utopie der männerlosen Gesellschaft. Die Akzeptanz von Männern in der Genderszene ist weitgehend reduziert auf Schwule und sogenannte Transmänner.
14 Kurzspielfilm 2012: Evangelische Frauen in Deutschland e.V., Männerarbeit der EKD, Regie und Produktion: Rainer Speidel.
15 Mit Differenzfeminismus ist die Ausprägung des Feminismus in der sogenannten zweiten Welle der Frauenbewegung gemeint, die bis in die 90er Jahre hinein das Modell einer deutlichen Differenzierung zwischen den Geschlechtern vertrat, eine Theorie, die dann vom Genderfeminismus abgelöst wurde, s. dazu den Überblick zur Entwicklung des Feminismus in der Einleitung des vorliegenden Bandes.
16 In einem „Aufruf“ auf dem öffentlich rechtlichen Sender Deutschlandfunk Kultur unter dem Titel „Den Feinden der Gleichberechtigung entgegentreten. Angriffe auf die Gender Studies“ am 5. November 2018 bezeichnete Sabine Hark Kritik an den Gender Studies als Teil einer „faschistischen Politik“, wobei sie sich für deren Definition auf das jüngst erschienen Buch von Jason Stanley „How Facism Works“ (2018) bezieht, s. https://www.deutschlandfunkkultur.de/angriffe-auf-die-gender-studies (abgerufen 21.1.2019). Auch in einem Interview auf demselben Sender am 1. November 2017 hatte Sabine Hark Kritik an den Gender Studies vor allem mit dem Rechtspopulismus verbunden; s. https://www.deutschlandfunkkultur.de/debatte-um-gender-studies (abgerufen 21.1.2019).
17 Sabine Hark – Paula-Irene Villa, „Eine Frage an und für unsere Zeit“. Verstörende Gender Studies und symptomatische Missverständnisse, in: diess. (Hrsg.) Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen (Bielefeld 2015) S. 30.
18 Susanne Maurer, Gedächtnisspeicher gesellschaftlicher Erfahrung? Zur politischen Dimension von Frauen- und Geschlechterforschung, in: Rita Casale u.a. (Hrsg.), Geschlechterforschung in der Kritik, Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft 1/2005, S. 108.

 

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