Justitia ist einäugig

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Artikel zum Gender Empathy Gap Day

Kein anderes Merkmal ist vor Gericht so entscheidend wie das Geschlecht.

Aus dem juristischen Alltag

Die Fälle, in denen Frauen vor Gericht mit Nachsicht begegnet wird, sind Legion. Einige Beispiele mögen das verdeutlichen.

2017 hatte ein Paar in alkoholisiertem Zustand Sex an Bord eines Dampfers. Der Mann wird wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zu 2.100 Euro Strafe verdonnert, die Frau zu 500 Euro, obwohl sie es war, die dem Schiffsführer mit der Faust ins Gesicht schlug. Die Richterin begründet ihr Urteil mit der Tatsache, dass die Frau Mutter geworden sei und einen „ganz vernünftigen Eindruck“ mache.

Eine Mutter, die ihre sechs Jahre alte Tochter betäubt und sieben Mal ihrem Lebensgefährten für Vergewaltigungen zur Verfügung gestellt hat, erhält 2016 eine Strafe von einem Jahr und neun Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wird (der Mann sechs Jahre zehn Monate Haft). Die Verteidigung der Frau hatte – natürlich! – betont, dass die Frau aufgrund von Scheidung und wirtschaftlichen Problemen empfänglich für Manipulationen, sprich: das eigentliche Opfer sei.

2016 wird eine 21-jährige, die einen Mann fälschlich der Vergewaltigung beschuldigt hat, von einer Richterin lediglich mit der Ableistung von dreißig sozialen Arbeitsstunden „bestraft“. Dass sie dem nicht nachkommt, ist derselben Richterin dann zehn zusätzliche Stunden wert.

2017 können Münchner Richter im Urteil gegen eine ehemalige Studentin, die ihren Freund mit einer Handkreissäge tötete, Heimtücke oder niedrige Beweggründe nicht erkennen.

Das Ausland handhabt die Frauenbevorzugung vor Gericht nicht anders als Deutschland. 2017 wird eine britische Studentin, die auf ihren Freund einstach, laufengelassen, weil sie „zu klug ist, um ins Gefängnis zu gehen“. 2019 erlässt eine britische Richterin einer Frau, die in betrunkenem Zustand drei Fahrzeuge gerammt hat, die Strafe, und erklärt ihr, wäre sie ein Mann, würde sie umgehend ins Gefängnis wandern. 2020 wird einer Australierin, die ihren Mann erstach, weil sie „wütend und verärgert“ darüber war, dass er spät von der Arbeit kam, der größte Teil ihrer Strafe erlassen, weil nach Ansicht der Richterin die ursprünglich verhängten neun Jahre Gefängnis eindeutig übertrieben gewesen seien. Die Entscheidung wird übrigens rechtzeitig zum Nationalen Gedenktag Häuslicher Gewalt verkündet.

Geschlechterstereotype beeinflussen Urteile

Gern werden die Verbrechen von Frauen mit biologistischen Thesen entschuldigt. Beispielsweise kommen 1982 zwei Mörderinnen in Großbritannien aufgrund der Beurteilung einer Frauenärztin mit der Ausrede „prämenstruelle Depression“ frei. Die eine überfuhr aus Eifersucht ihren Freund, die andere ging mit einem Messer auf einen Polizisten los, nachdem sie im Jahr zuvor bereits eine Kollegin erstochen hatte. Die Frauenärztin vertritt die These, vor der Menstruation könnten Hormonverschiebungen dazu führen, dass schuldhaftes Verhalten auszuschließen sei. 2007 behauptet eine Studie der University of Pittsburgh, Frauen könnten nichts für feindseliges Verhalten; ihre Gene seien an allem schuld.

Dass Vorurteile und Geschlechterklischees zu Lasten der Männer die Justiz beherrschen, ist kein Geheimnis. 2011 stellt Kriminologe Hendrik Schneider fest, dass sich Staatsanwälte und Richter unter Umständen von „geschlechtsspezifischen Vorstellungen“ beeinflussen lassen und Polizisten über Einsätze bei häuslicher Gewalt zugeben: „Natürlich nehmen wir erst mal den Mann mit“. Der Human Security Report von 2012 zeigt auf, dass Wissenschaftler aufgrund verinnerlichter Geschlechterstereotype gar nicht erst auf den Gedanken kommen, bei ihren Untersuchungen nach weiblichen Tätern zu fragen (S. 33). Andere Studien weisen nach, dass das Leiden von Frauen größere Sorge hervorruft als das Leiden von Männern, eher eine Politik unterstützt wird, die Frauen begünstigt, und Frauen parteiischer für das eigene Geschlecht sind.

Eine Studie des Kompetenzzentrums für Rechtspsychologie der Universität St. Gallen von 2012 kommt zu dem Schluss, dass Staatsanwälte Männer härter bestrafen als Frauen. Das wird auch durchaus von denen zugegeben, die die Urteile fällen: Ulrich Vultejus, Richter am Berliner Amtsgericht a. D., erklärt beispielsweise 2008, er habe sich bei Verfahren gegen Frauen immer gefragt, welche Strafe er gegen einen Mann verhängen würde, und dann „auf diese Strafe abzüglich eines ‚Frauenrabatts’ erkannt. Ähnlich scheinen es auch meine Kollegen zu handhaben“. Ein solcher Rabatt sei gerechtfertigt, „weil es Frauen im Leben schwerer haben“.

Gefühlte Wirklichkeit

Umso bemerkenswerter, wie die feministische Lobby weibliche Privilegien leugnet und das Gegenteil zu propagieren versucht, wie etwa auf einer Tagung der HU Berlin 2006, wo das erste deutsche Studienbuch Feministische Rechtswissenschaft vorgestellt wurde. Dort verfochten Juristinnen nicht nur die offensichtlich absurde These, Frauen würden in der Rechtsprechung benachteiligt, sondern traten auch dafür ein, Mord aus Heimtücke, also wenn etwa eine Frau einen Mann im Schlaf umbringt, mit Nachsicht zu behandeln.

Willfährige Ausführer ihrer Fantasien finden sie genug. So versuchte Heiko Maas 2014, den Straftatbestand „Mord aus Heimtücke“ abzuschaffen und einen Sonderrabatt für mordende Frauen einzuführen, die „aus Verzweiflung“ handeln oder sich „aus einer ausweglos erscheinenden [!] Konfliktlage befreien“ wollen.

Derzeit (2021) bemühen sich Politikerinnen von Ulla Jelpke und Cansu Özdemir (Linke) über Britta Haßelmann (Grüne) und Christine Lambrecht (SPD) bis Dorothee Bär (CSU), wie immer flankiert von den Leitmedien, Frauen per Definition von jeder Mitverantwortung für Konflikte innerhalb einer Beziehung freizusprechen und die Gewalt von Frauen gegen Männer unsichtbar zu machen, indem sie fordern, dass die Tötung von Frauen gesondert in einer Kategorie „Frauenhass“ erfasst wird, denn: „Die Tötung einer Frau ist ein Femizid“ (Bayern 2). Die Tötung eines Mannes hingegen ist offenbar bloß Kollateralschaden. Ulla Jelpke weiß denn auch genau um die Doppelmoral dieser Forderung, wenn sie explizit davor warnt, eine etwaige Ergänzung des Strafrechtsbuchparagrafen 46 geschlechtsneutral zu formulieren, denn das sei „ein zweischneidiges Schwert, das sich auch gegen die Frauen selbst richten kann“.

Das alles kommt natürlich nicht von ungefähr: Laut einer Studie der Universität Exeter sind Feministinnen besonders leicht bereit, in einem hypothetischen Dilemma Männer zu opfern.

Menschen erster und zweiter Klasse

Frauen vor der Verantwortung für ihre Taten zu bewahren, ist ein weltweites Phänomen. Beispiel Großbritannien: 2001 legt eine führende Wohltätigkeitsorganisation zur Verbrechensbekämpfung britischen Richtern nahe, weniger Frauen zu Haftstrafen zu verurteilen. Frauen ins Gefängnis zu schicken, sei nämlich keine Lösung, sondern „füge ihnen mehr Schaden als Gutes zu“. Weil die Gefängnisse in Großbritannien überfüllt sind, wird 2007 in einem Regierungsbericht über eine Schließung der Haftanstalten für Frauen diskutiert. Baroness Corston (Labour) erklärt darin, es seien ohnehin zu viele „verletzbare“ Frauen im Gefängnis und dort „einer überproportional größeren Härte“ ausgesetzt. Die Frauengefängnisse könnten doch besser innerhalb der nächsten zehn Jahre geschlossen und in Haftanstalten für Männer umgewandelt werden. 2010 wird in einem Handbuch für Richter dazu aufgerufen, weibliche Verbrecher grundsätzlich weniger schwer zu bestrafen, weil Frauen es ohnehin schwerer hätten als Männer.

2018 möchte der britische Justizminister David Gauke erreichen, dass Verbrecherinnen nicht mehr in Gefängnissen untergebracht werden, sondern in Wohnzentren. Zu diesem Zweck entwickelt die Regierung Pläne für ein entsprechendes Pilotprojekt in Wales. Zufällig erklärt auch eine Richterorganisation in Wales, dass Frauen, die wegen kleinerer Vergehen verurteilt werden, Hilfe und Unterstützung erhalten sollen, statt eine Gefängnisstrafe absitzen zu müssen, weil kurze Strafen „eine unverhältnismäßige Wirkung“ auf Frauen im Vergleich zu Männern und weibliche Straftäter „komplexe Probleme“ hätten. 2020 ist es dann so weit, das Justizministerium plant in Zusammenarbeit mit der Waliser Regierung die Eröffnung eines Zentrums für weibliche Straftäter, die ihrer Meinung nach „besondere Unterstützung“ verdienten. Das Zentrum ist Teil einer Regierungsstrategie, die auf der Prämisse basiert, dass es „tiefer liegende Gründe“ für das Verhalten von Straftäterinnen gebe.

In Spanien hat ein 2004 eingeführtes Gesetz gegen häusliche Gewalt, nach dem die Anschuldigung einer Frau ausreicht, um Männer ohne jeden Beweis ins Gefängnis zu bringen, zu einer Flut von Falschbeschuldigungen geführt. Unbeirrt von jeder Realität billigt das Verfassungsgericht 2008 eine weitere Verschärfung des Gesetzes, das nun Männer bei häuslicher Gewalt härter bestraft als Frauen (fünf Jahre Haft im Vergleich zu drei Jahren), weil von Männern begangene Gewalt „besonders verwerflich“ sei. Eine Strafrichterin, die darin eine Diskriminierung der Männer sieht, scheitert 2010 vor dem Verfassungsgericht.

In Russland kündigt Wladimir Putin 2002 eine Amnestie für Mütter an, egal welches Verbrechen sie begangen haben. In Brasilien unterzeichnet Präsidentin Dilma Rousseff 2015 ein Gesetz, nach dem jemand, der eine Frau umbringt, schwerer bestraft wird als jemand, der einen Mann umbringt. In Uruguay wird Mord an Frauen 2017 als besonders schwere Straftat eingestuft.

In den USA fordern kalifornische Feministinnen 2002 eine Amnestie für alle Frauen, die ihre Männer umbringen. Diese seien traumatisiert und daher für ihre Handlungen nicht verantwortlich. Hillary Clinton stellt 2016 während ihrer Bewerbung um das US-Präsidentenamt heraus, dass sie im Falle eines Wahlsieges eine genderbasierte Politik im Strafvollzug durchsetzen will, denn „die hohe Zahl von Frauen im Gefängnis und die langen Strafen destabilisieren Familien und Gemeinschaften“, weil „eine ganze Familie (…) durch die Haftstrafe einer Frau bestraft“ wird. „Wir müssen (…) aufmerksamer gegenüber den speziellen Bedürfnissen von eingesperrten Frauen sein.“

Auch in Australien ist die Frauenbevorzugung vor Gericht ausgemachte Sache. Mirko Bagaric, Dekan und Leiter der Fakultät für Rechtswissenschaften an der Deakin Universität in Melbourne, behauptet 2016 im Guardian, Frauen begingen selten Verbrechen, und wenn, dann nur harmlose oder aus Selbstverteidigung. Wenn Frauen morden, geschähe das „vor dem Hintergrund einer missbräuchlichen Beziehung oder einer depressiven Einstellung“. Außerdem litten sie mehr hinter Gittern, und die Gesellschaft nähme Schaden, weil mehr als 50 Prozent der inhaftierten Frauen Alleinerziehende seien. Frauen sollten daher auch dann nachsichtiger behandelt werden, wenn sie das gleiche Verbrechen begingen wie ein Mann. Das Justizsystem müsse dahingehend reformiert werden, dass keine Täterin mehr ins Gefängnis komme. 2018 wiederholt er seine Sichtweise und behauptet: „Frauen töten oft vor dem Hintergrund von Viktimisierung und Hoffnungslosigkeit, nicht weil sie wütend oder rachsüchtig sind“.

Der alltägliche Sexismus vor Gericht bedeutet indes nicht nur, dass Männer für dasselbe Verbrechen deutlich härter bestraft werden als Frauen, dieser Sexismus wirkt sich auch auf die Kriminalitätsstatistik aus, mit der wiederum Vorurteile bestätigt und härtere Strafen für Männer begründet werden – ein Teufelskreis.

Weitere Artikel zum GEG-Day:

Die Website zum Gender Empathy Gap Day
Brief von MANNdat an die EU
Brief von MANNdat an die UN
Janice Fiamengo über den Gender Empathy Gap Day
Mike Buchanan hat darauf hingewiesen
Bei Uepsilonniks geht es um Obdachlosigkeit

Der Artikel erschien zuerst auf Das Alternativlos-Aquarium.

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Gunnar Kunz hat vierzehn Jahre an verschiedenen Theatern in Deutschland gearbeitet, überwiegend als Regieassistent, ehe er sich 1997 als Autor selbstständig machte. Seither hat er etliche Romane und über vierzig Theaterstücke veröffentlicht, außerdem Kinderbücher, Hörspiele, Kurzgeschichten, Musicals und Liedertexte. 2010 wurde er für den Literaturpreis Wartholz nominiert.