Meine Begegnungen mit der weiblichen Form
Eine meiner ersten Begegnungen hatte ich Ende der achtziger Jahren, als ich mit einem Kollegen zusammen ein Lesebuch mit dem Titel Man müsste noch mal zwanzig sein – oder doch lieber nicht? herausgab und dazu ein Autorenverzeichnis erstellte. Das führte zu einem unerwarteten Streit.
Es gab eine neue Lektorin, die im Unterschied zu ihrer Vorgängerin das Wort „Autorenverzeichnis“ nicht akzeptieren wollte, weil da Frauen nicht erkennbar waren. Sonst waren sie das.
Unter den aufgelisteten Autoren fanden sich viele Frauen, das war nicht das Problem, auch auf dem Cover war im Vordergrund deutlich eine Frau zu erkennen. Man konnte wirklich nicht sagen, dass in dem Buch Frauen in irgendeiner Weise zu kurz kamen. Worum es der Lektorin ging, war nicht klar, ich kann mich auch nicht erinnern, dass sie ihre Meinung begründet hätte. Schließlich einigten wir uns auf „Autorinnen und Autoren“.
Eigentlich fand ich es falsch. Es gab nicht zwei Gruppen, die durch ein „und“ getrennt und – aus welchen Gründen auch immer – voneinander unterscheiden werden sollten. Die Beiträge waren nach dem Alter der Autoren geordnet, zuerst wurde das Lebensgefühl junger Leute beschrieben, dann das der älteren. Es ging nicht darum, die Erfahrung des Älterwerdens aus männlicher und weiblicher Sicht zu vergleichen. Es war auch nicht so, dass es sich eine von den Autorinnen gewünscht hätte, auf diese Art und Weise erwähnt zu werden.
Ich war darauf vorbereitet gewesen, Beiträge zu diskutieren, Texte eventuell herauszunehmen oder zu verteidigen, doch das war nicht das Problem. Schließlich haben wir nachgegeben, weil wir die Aufregung nicht nachvollziehen konnten und nicht wichtig fanden. Die Textauswahl und unser Konzept waren unangetastet geblieben. Was wollten wir mehr? Dennoch blieb ein bitterer Nachgeschmack zurück. Wenn es wirklich nur eine Kleinigkeit war, warum wollte die Lektorin diese Bagatelle unbedingt durchsetzen? Offenbar war es ihr wichtig. Wir haben gönnerhaft ein Auge zugedrückt – und uns so darüber hinweggetröstet, dass wir in einer Machtfrage unterlegen waren.
Es sollte noch mehr solcher kleiner Niederlagen geben. Ich hatte mich bereit erklärt, eine Solidaritäts-Adresse für Salman Rushdie abzutippen und zuckte nun bei der Formulierung „Wir sind eine Gruppe von Übersetzerinnen und Übersetzern“. Ich fragte mich, ob man so Salman Rushdie unterstützen könnte und überlegte, wie diese „Übersetzerinnen und Übersetzer“ ihre Selbstbezeichnung ins Englische übersetzen würden. Warum schrieben sie nicht gleich auf Englisch? Konnten die das vielleicht gar nicht richtig? Egal. Ich tippte brav weiter. Vom Club Voltaire Tübingen, in dem ich lange aktiv war und an den ich nun wehmütig zurückdachte, hörte ich, dass es eine Vollversammlung gegeben hatte zu der Frage, ob man in künftigen Rundbriefen „Mitgliederinnen und Mitglieder“ schreiben sollte. Ich wurde noch wehmütiger. Was war in die Leute gefahren?
Ich konnte das nicht ernst nehmen. Es war umständlich und unnötig. Wer wollte das? Und warum? Ich war sicher, dass sich das nicht durchsetzten würde. Es ließ sich sowieso nicht konsequent anwenden. Damals gab es als großartige Neuheit in der Weltstadt Hamburg, in der ich inzwischen lebte, Videotheken mit zweifelhaftem Angebot für Erwachsene. Ich sah mich schon in die Läden stürmen und darauf bestehen, dass die Regale neu beschriftet werden, weil es nun „Kannibalinnen- und Kannibalen Videos“ heißen müsste. Wenn schon, denn schon. Ich habe es natürlich nicht getan. Das war nur so eine Idee. Ich war sicher, dass sich der Spuk bald von selbst erledigen würde. Wie wir inzwischen wissen, habe ich mich getäuscht.
Ich krame deshalb in alten Erinnerungen, weil ich für die Jüngeren unter uns eins deutlich machen möchte: Es war damals nicht etwa so, dass es an guten Gründen für so einen neuen Sprachgebrauch fehlte, es fehlte auch an schlechten Gründen, es fehlte überhaupt an Gründen. Es gab keine. Es ging auch so. Das Zauberwort von der „geschlechtergerechten Sprache“ – da bin ich sicher! – war noch nicht im Umlauf. Dass es bald eine „Bibelübersetzung in gerechter Sprache“ geben würde, war unvorstellbar. Nun gibt es tatsächlich eine, und die löst unerwartete Vorstellungen in mir aus, die mir die Geschichte des Christentums in ganz neuem Licht erscheinen lässt. Wenn ich da von den „Makkabäerinnen und Makkabäern“ lese – Was sind Makkabäerinnen? –, muss ich unwillkürlich an bisher wenig bekannte, untereinander verfeindete Indianerstämme denken.
Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass die neue sprachfeministische Initiative auf die Vorstellung von einem so genannten „generischen Maskulinum“ zurückgeht, das Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plötz als Unterdrückung empfinden, ich hätte das für einen Sketch von Loriot gehalten. Doch es ist nicht lustig. Ich bin ziemlich sicher, dass die erwähnte Lektorin weder Luise F. Pusch noch Senta Trömel-Plötz kannte, das vermute ich auch bei den Frauen aus Tübingen, die in Zukunft als „Mitgliederinnen“ angesprochen werden wollten. Und sicher bin ich mir bei dem Trottel, der im Hausflur einen Zettel aufgehängt hat, auf dem eine Nachricht für die „Mieterinnen und Mieter“ stand.
Das machte man so. Das plapperte man so daher. Ohne nachzudenken. Es quoll aus allen Ritzen. Es war Mode. Wie Neue Deutsche Welle. Wie Graffiti. Wie Skateboards. Wie Häschenwitze. Es war eher eine Seuche. Die „taz“ ging voran und schien sich an ihrer Originalität, die sich dabei zugutehielt, regelrecht zu berauschen. Nun musste immer und überall eine Anspielung auf das weibliche Geschlechtsteil untergebracht werden, es ging immer munter unter die Gürtellinie und berührte den Bereich, den man als Kind als „Bäh-Bäh-Zone“ bezeichnet hat. Die „-innen“-Form war ein ständiger Hinweis auf das weibliche Geschlecht. Und das bei Gelegenheiten, bei denen man früher nicht daran gedacht hätte.
Es hatte etwas Unanständiges; es war, als wollte jemand mahnend den Finger erheben und sagen: Vergiss nicht, an die Geschlechtsteile von Frauen zu denken. Doch ich war nicht mehr zwanzig. Ich hatte mich inzwischen arrangiert mit dem Umstand, dass Menschen einen Unterleib haben. Ich brauchte keinen ständigen Hinweis auf das weibliche Geschlechtsteil. In meiner Pubertät hätte ich das eher zu schätzen gewusst und nach weiteren Infos verlangt, aber das Lesebuch, das ich herausgegeben hatte, hieß auch nicht Man müsste noch mal vierzehn sein. Ich war sogar zu der Auffassung gelangt, dass ich persönlich nicht noch einmal zwanzig sein wollte.
Es erinnerte mich an die Angewohnheit, bei jeder Gelegenheit „Scheiße“ zu sagen – eine ärgerliche Mode, die in den 60ern aufkam, die auch etwas Pubertäres hatte und provozierend sein wollte. Ich mochte das nicht und mag es immer noch nicht. Dies ist der erste Text von mir, bei dem das Wort „Scheiße“, das ich sonst eher meide, gleich in der Überschrift auftaucht. In den 90er Jahren wurde die Scheiße salonfähig. Ausdrücke dieser Art waren eines der Merkmale der Romane von John Irving, die sich großer Beliebtheit erfreuten: „fucking“ wurde mit „Scheiß“ übersetzt, ein „fucking car“ war eine „Scheißkarre“. Ich weiß noch: Anfangs hatten einige Leser gezuckt, hatten sich dann aber fix an die sexuell aufgeladene, derbe Sprache gewöhnt. Ich nicht. Doch mir war aufgefallen, dass die Scheiße inzwischen ihr Geschlecht gewechselt hatte, sie war männlich geworden. Irgendwann war der Punkt erreicht, und ich musste einem Freund deutlich sagen: „Hör endlich auf mit den Fäkal-Ausdrücken! Was soll der Scheiß?!“
Dann war es soweit. Eines Tages erhielt ich einen Anruf vom Lektor eines großen Kinderbuchverlages, bei dem ich angeheuert hatte, er bat mich, mich nicht zu wundern, wenn ich gleich einen Vertrag kriegen würde, in dem ich als „Autorin“ angesprochen werde. Der Verlag war nämlich an zwei Erbinnen übergegangen, die nun eine Sprachreform durchziehen wollten, aber nicht genau wussten wie die aussehen sollte. Mit Schrägstrich? Mit durchgehender Doppelnennung? Der Lektor erklärte mir, dass sowieso fast alle der Beteiligten Frauen wären, deshalb hätte man eine durchgehend weibliche Form gewählt. Als einer der wenigen Männer sollte ich das gelassen hinnehmen.
Klar! Warum nicht? Ich fand es eher kurios. Auf den Gedanken, dass man eigentlich ganz leicht zwei verschiedene Vertragsformulare erstellen könnte – eins mit und eins ohne „-in“ –, bin ich nicht gekommen. Da hätte auch der Verlag drauf kommen können. Doch so war es nicht. Jedenfalls wurde ich „Autorin“ und musste bald schon Slipeinlagen tragen.
Daran war ich allerdings selber schuld. Ich schrieb nun sehr viel und nahm dabei offenbar eine falsche Sitzhaltung ein, bei der mein Ellbogen so belastet wurde, dass es schmerzte. Eine Art Tennisarm. Man kriegt das auch, wenn man die Hecke schneidet oder stundenlang im Stau steht und schaltet. Ich musste starke Medikamente nehmen, die mir dummerweise auf den Magen schlugen. Deshalb stieg ich auf Zäpfchen um. Damit wurde jedoch meine Unterwäsche eingefettet, und so kam ich auf die Idee, Slipeinlagen zu tragen. Das Problem war gelöst. Ich konnte weitertippen.
Alles war gut. Es war eine produktive Zeit. Es hatte meinen Spaß. Dass ich als „Autorin“ tätig war und Slipeinlagen trug, blieb mein Geheimnis. Doch ich hatte eine Kleinigkeit übersehen. Das Honorar sollte auf das Konto der „Kontoinhaberin“ überwiesen werden. Es wurde natürlich zunächst auf mein Konto überwiesen – das schon. Doch wenn ich zurückdenke und mir klar mache, wie viel Geld ich durch die Scheidung verloren habe, dann hätte man das Geld eigentlich gleich auf das Konto der Kontoinhaberin überweisen können. Es wäre einfacher gewesen.
Wie gesagt: Es war eine schöne Zeit, ich denke gerne daran zurück. Nur die Sache mit dem Geld, die ist echt scheiße gelaufen.