Die AfD macht den etablierten Parteien Angst. Richtig so, meint Novo-Redaktionsleiter Johannes Richardt. Dank der Anti-Europartie haben wir nun die Debatte über Europa, vor der sie sich drücken wollten. Zu einer echten Alternative für bessere Politik macht das die AfD aber wohl nicht.
Von der Linkspartei bis zur Union treibt die neu gegründete Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland (AfD) den Parteistrategen die Schweißperlen auf die Stirn.
Auch wenn die AfD in allen Umfragen deutlich unter der Fünf-Prozent-Marke liegt, kommt ihnen diese erneute Erschütterung des Parteiensystems im Bundestagswahljahr alles andere als gelegen. Zuletzt forderten einige hochrangige CDU-Politiker ihre Vorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel, dazu auf, sich doch bitte endlich klar gegenüber der Splitterpartei zu positionieren. [1]
Im Gegensatz zum großen Medienhype des letzten Jahres, der Piratenpartei, die sich mangels inhaltlicher Substanz in atemberaubender Zeit selbst entzaubert hat und es jetzt schon als Erfolg verbucht, ihren Parteitag halbwegs ohne größere Peinlichkeiten über die Bühne gebracht zu haben, könnte sich die AfD zumindest kurzfristig zu einer echten Bedrohung für die etablierten Parteien auswachsen.
Ein halbes Jahr vor der Wahl besetzt die Alternative für Deutschland ausgerechnet das Thema, bei dem seit Jahren eine große Koalition aller im Bundestag vertretenen Parteien mit Ausnahme der Linken die große „Alternativlosigkeit“ predigt: die Eurorettungspolitik.
„Es ist positiv, dass die AfD das Thema Europa und Fragen nationalstaatlicher Souveränität auf die Tagesordnung zwingt.“
Völlig zu Recht greift die AfD das in großen Teilen der Bevölkerung verbreitete Unbehagen bezüglich der Sinnhaftigkeit und Legitimität der verordneten EU-Transfer-, Spar- und Umstrukturierungsprogramme auf. Sie will – wofür es ja wirklich sehr viele gute Gründe gibt – den Euro in seiner bisherigen Form abwickeln und schreckt dabei leider auch vor nationalistischen Tönen nicht zurück, was ihr vor allem in den konservativen Wählerschichten aller Parteien Sympathien einbringt.
Davon kann man halten, was man will. Positiv ist, dass die AfD das Thema Europa und Fragen nationalstaatlicher Souveränität überhaupt auf die Tagesordnung zwingt. Denn der abgehobene und bürgerferne Politikstil und die immer willkürlicher anmutenden Konsequenzen der EU-Politik (die zum Glück für uns hierzulande nicht so spürbar sind, wie etwa in den südlichen Eurostaaten) stehen sinnbildlich dafür, wie die Eilten des Kontinents heutzutage ihre Herrschaft interpretieren und ausüben.
Als Reaktion darauf sind überall auf dem Kontinent in den letzten Jahren populistische Parteien und Protestbewegungen entstanden, die meistens deutlich weniger moderat als die AfD den vorherrschenden Konsens über den europäischen Einigungsprozess und die Art und Weise, wie Politik heutzutage funktionieren sollte, in Frage stellen: Bei den britischen Kommunalwahlen kam die chauvinistische UK Independence Party unter Nigel Farage mit einem offenen Anti-EU- und Anti-Einwanderwahlkampf auf 23 Prozent der Stimmen. In Italien erreichte die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo unter anderem auch mit der Forderung nach einem Euroaustritt ebenfalls ein Viertel aller Stimmen bei den letzten Wahlen. In Griechenland kam die EU-kritische Linkspartei Syriza auf 20 Prozent. Auch die radikalen Rechten unter Marine Le Pen in Frankreich und Geert Wilders in den Niederlanden kamen bei den letzten Wahlen mit europafeindlichen Tönen zu beachtlichen Ergebnissen. In Italien, Spanien, Irland, Griechenland und Zypern haben sich vielgestaltige soziale Bewegungen gegen die Austeritätspolitik herausgebildet, die sich gleichermaßen gegen die EU und das nationale Establishment richten.
„Protestparteien, wie die AfD, sind nicht viel mehr als ein Vehikel für den Unmut und die Verwirrung über den Zustand der politischen Ordnung.“
Dabei war die Entstehung all dieser Bewegungen bereits vor Ausbruch der Eurokrise sehr eng an das Schicksal der EU geknüpft, wie der britische Sozialwissenschaftler James Heartfield zeigt. [2] Ihr Auftreten ist symptomatisch für den Zusammenbruch des überkommenen politischen Links-Rechts-Schemas der Nachkriegsära, in dem sich quer durch Europa sozialistische und christdemokratische Parteien gegenüber standen. Ob es sich nun um Linke, Nationalisten, Grüne oder Weiße handelte (die weiße Bewegung versetzte in den frühen Neunzigern Belgien in Schockstarre); immer erwuchs das Mobilisierungspotential dieser Bewegungen aus der Unfähigkeit des alten Parteiensystems, den Hoffnungen und Ängsten der Menschen Ausdruck zu verleihen.
Allerdings konnte sich keine der Protestparteien wirklich dauerhaft etablieren. Letztlich mangelte es immer an einer robusten inhaltlichen und organisatorischen Grundlage für eine tragfähige soziale Bewegung – so standen diese eben nur für den Verfall des Alten und nicht für eine wirklich neue Politik.
Dass gerade jetzt die Europäische Union zu einer Hauptzielscheibe der Protestbewegungen wird, ist bezeichnend. Der wachsende Einfluss der beiden Gegenspieler speist sich aus der gleichen Quelle: dem Scheitern der nationalen Politik. Die Europäische Union hat in dem Maße an Macht gewonnen, in dem die Autorität der nationalstaatlichen Institutionen abgenommen hat. Die nationalen Eliten haben den Kontakt zu ihrer heimatlichen Wählerbasis verloren und leiten ihre Legitimität zunehmend aus ihren Beziehungen untereinander – also innerhalb der EU-Institutionen – ab.
So erklärt sich auch der enorm gewachsene Einfluss demokratisch nicht legitimierter Institutionen im Zuge der Eurorettung – sei es der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank oder Superbürokratien à la ESM. Es steckt keine finstere Verschwörung hinter dieser Entwicklung, wie viele EU-Kritiker argwöhnen – je nach Neigung durch EUDSSR-Kommissare, neoliberale Banker, die Bilderberger oder außerhalb unserer Landesgrenzen auch die Deutschen – vielmehr wächst die Macht der EU in dem Maße, in dem die nationalen Regierungen und Parlamente von der Fiskalpolitik bis hin zum Verbraucher- und Gesundheitsschutz freiwillig auf politische Autorität und Gestaltungsmöglichkeiten verzichten.
Es ist gut, dass die Gründung einer deutschen Anti-Europartei Politik und Medien aufgeschreckt hat und wir nun im Wahljahr auf eine ehrlichere und weniger konformistische Debatte über Europas Zukunft hoffen dürfen als bisher. Aber dieses Verdienst macht aus der AfD noch keine echte Alternative zum abgewirtschafteten Parteienapparat. Dafür fehlt es an inhaltlicher Substanz, Konzepten und vor allem einer positiven Vision für unser Gemeinwesen, die über die teilweise sinnvollen Vorschläge zur Europapolitik hinausgeht – man denke nur an ihre rückwärtsgewandte Haltung zur Einwanderungspolitik. Es ist fraglich, ob der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke und seine Mitstreiter hier wirklich Inspirierendes liefern können. Wir müssen abwarten, aber wahrscheinlich ist auch die AfD, wie die vielen anderen Protestparteien, nicht viel mehr als ein bloßes Vehikel für den weit verbreiteten Unmut und die Verwirrung über den Zustand der politischen Ordnung Europas. Solange jedoch eine ernsthafte Opposition nicht in Sicht ist, wird leider auch die EU in ihrer jetzigen demokratiefeindlichen Form „alternativlos“ bleiben.
Johannes Richardt ist Redaktionsleiter von NovoArgumente.
Anmerkungen
(1) Zeit Online: „Union sucht richtigen Umgang mit der AfD“, 14.5.2013.
(2) James Heartfield: The European Union and the End of Politics, Zero Books, 2013.
Der Artikel erschien zuerst bei NovoArgumente.