„Mit Blick auf das nahende Weihnachtsfest empfahl Franziskus seinen Mitarbeitern Josef als Vorbild. Dieser habe sich fürsorglich ‚um seine Braut und das Kind‘ gekümmert und dabei ‚still‘ an der Seite Marias gestanden.“
Ganz ähnlich wie von Papst Franziskus, aber mit ganz anderer Bewertung, wird Josef von Marcus Spicker im Kuckucksvaterblog beschrieben:
„Er, der sich um Maria und ihr Kind kümmerte, aber stets im Hintergrund stand und in der Bibel nie zu Wort kommt. (…) Er, dessen Geschichte sich nüchtern betrachtet am Anfang genauso liest, wie die unzähligen Geschichten von heutigen Scheinvätern.“
Josef, der berühmteste Kuckucksvater der Religionsgeschichte, habe aber nur deshalb so tolerant sein können,
„weil er von Anfang an Bescheid wusste über seine Nicht-Vaterschaft und er die Verantwortung für den Jungen auch tatsächlich, zumindest eine Zeit lang, übernehmen durfte. Letztendlich wurde er aber genauso entsorgt, wie unzählige andere Scheinväter heutzutage auch.“
Dass heutzutage auch unzählige reale Väter entsorgt werden, wird Josef keine große Hilfe sein. Julia Schramm schrieb 2012 in der FAZ über einen Mann, der auf vielen Bildnissen weit weg von seinem neugeborenen Sohn steht, weiter als selbst Ochse und Esel, und
„der Vater sein soll, ohne das Baby gezeugt zu haben. Nicht einmal in der Lage war er, für die Niederkunft seiner schwangeren Frau eine ordentliche Herberge zu organisieren.“
Josefs Zurückhaltung sei im Laufe der Jahrhunderte aber auch in eine Tugend uminterpretiert worden. Zur „Disziplinierungsfigur für die Männer nach dem Dreißigjährigen Krieg“ sei er geworden, der „ein vorbildliches Familien- und Arbeitsleben“ vorgeführt hätte. Zudem sei die „Schmach, dass seine Frau ihm ein fremdes Kind untergeschoben hat, (…) längst zum Ausdruck seiner Reinheit umgedeutet“ worden. Ein heutiger Pastor entdeckt in Josef gar einen idealen Mann:
„Er war kein Mensch der vielen Worte, der erst eine Planungskonferenz einberufen musste. Er hat angepackt und gemacht. Und er hat traumhaft genau das Richtige getan.“
In diesem Sinne ist Josef ein Traummann aller vaterentsorgenden Mütter: Er ist da, wenn er gebraucht wird, hält aber auch dann den Mund, drängt sich nicht in den Vordergrund, übernimmt Verantwortung für Frau und Kind, ohne dumme Fragen zu stellen, macht der Mutter beim Kind keine Konkurrenz – und wenn er nicht mehr benötigt wird, verschwindet er stillschweigend, ohne dass das noch eigens erwähnt werden müsste.
Josef als Vorbild und verschwindender Vater
Tatsächlich hat die positive Deutung dieser Figur beunruhigende Aspekte. Dass Maria bei Jesu Geburt noch Jungfrau gewesen sei, dass ihr Mann womöglich gar mit ihr auch danach eine sexfreie Ehe – eben eine „Josefsehe“ – geführt habe, lässt die Frau eben deswegen als rein dastehen, weil sie niemals mit männlicher Sexualität in Berührung kam. Nicht nur Sexualität insgesamt, sondern insbesondere die männliche Sexualität erscheinen hier als schmutzig – und Josef wird es als Verdienst angerechnet, die Frau niemals mit diesem Schmutz in Berührung gebracht zu haben, obwohl er ihn doch nach dieser Logik in sich trug.
Bei einem kirchlichen Männertag, von dem Schaaf in ihrem Artikel berichtet, habe der Leiter eine kirchliche Litanei zu Ehen von Josef verteilt.
„‘Du gerechter Josef / Du keuscher Josef (…) Du gehorsamer Josef / Du getreuer Josef / Du Spiegel der Geduld / Du Freund der Armut (…) Du Zierde des häuslichen Lebens / Du Beschützer der Jungfrauen / Du Stütze der Familien / Du Trost der Bedrängten.‘ Und dann sitzen da knapp 35 erwachsene Christen im Stuhlkreis und fühlen sich nicht richtig angesprochen.“
Das ist kein Wunder – dieser Josef wird verehrt, weil er sich selbst so sehr zurücknimmt, dass er eigentlich gar nicht mehr existiert.
Irritierend ist dabei gerade die Selbstlosigkeit, mit der Josef nach den Geschichten biblischer Tradition für Frau und Kind da war.
„Jesus, das heilige Kuckuckskind, brauchte einen Menschen, der auf dieser Welt dafür sorgte, dass es in Sicherheit behütet aufwachsen konnte“,
schreibt Schaaf. Dass er nicht der eigentliche Vater gewesen sei, dass Jesus überhaupt keinen menschlichen Vater gehabt habe, fixiert das menschliche Verwandtschaftsverhältnis des Jungen ganz auf die Mutter. Warum eigentlich sollte das gut sein?
Auch Jesus hat Josef, soweit die Bibel vom Verhältnis beider berichtet, nicht gedankt. Als er als Zwölfjähriger bei einem Besuch Jerusalems verschwunden war, fanden ihn Maria und Josef erst nach drei Tagen Suche im Tempel wieder, wo er angeregte Gespräche führte.
„Der Vater sagt, wie immer, wenn es darauf ankommt: nichts. Woraufhin der Sohn, typisch Vorpubertät, nichts Besseres zu tun hat, als dem Papa Salz in die Wunde seines Lebens zu reiben. Er erinnert ihn daran, dass er gar nicht sein richtiger Vater sei.“
Nivea verschmiert Häme zum Weihnachtsfest
Pünktlich zum Weihnachtsfest hat die Firma Beiersdorfer für ihr Nivea-Sortiment das Motiv des vaterlosen Jungen für eine Werbekampagne verwendet und damit Entzücken, aber bei vielen Männern und einigen Frauen auch Empörung ausgelöst. Der Clip ist Bestandteil einer Reihe von Nivea-Werbespots, in deren Mittelpunkt eine alleinerziehende Mutter und ihr kleiner Sohn stehen.
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Zu Weihnachten ist der Onkel zu Besuch und hilft der Mama in der Küche. Beide schmücken den Weihnachtsbaum, der Junge blickt aus dem Fenster, sieht dort jemanden und erzählt aus dem Off: „Aber am allermeisten freue ich mich auf…“ Eine kleine Pause, man sieht den Kleinen freudig zur Tür rennen, dann kommen eine alte Frau und ein alter Mann herein, und er beendet seinen Satz: „…Oma und Opa.“
„Das schönste Geschenk ist die Familie. Nivea“ Dieser Satz wird schließlich über das Bild geblendet, das die Oma mit dem Jungen auf dem Arm zeigt.
Der Spot spielt gezielt mit Erwartungen der Zuschauer, die sicherlich zu einem großen Teil davon ausgehen, dass am Ende der Vater kommt und vom Kind freudig begrüßt wird. Der Spot aber versichert, dass eine Weihnachtsfamilie ohne Vater eine vollständige Familie ist – uns, den Erwachsenen, möge der Vater fehlen, aber doch gewiss dem Kind nicht.
Warum die Boykottaufrufe gegen Nivea, die auf diesen Spot folgten, wohl sinnlos sind, erklärt das Blog Papa rockt (andere Reaktionen finden sich hier, und hier, und hier):
„Die einzigen, die sich genügend empören um etwa einen Boykott zu fordern, sind Männer. Die dürften ungefähr 2 Prozent der kaufentscheidenden Zielgruppen ausmachen. Lasst sie streiken, werden sich die Werbefachleute gesagt haben. Juckt uns nicht. Die Einkaufsliste schreibt immer noch Mama.“
Eben. Wer Geld zum Ausgeben hat, bekommt eine maßgeschneiderte Ideologie gern frei haus mitgeliefert. Im Werbespot geht es darum, alleinerziehenden Müttern ein gutes Gefühl zu geben und die bösen Gedanken zu verscheuchen, dass der Vater den Kindern zu Weihnachten fehlen könnte.
Dass dieses gute Gefühl nur zu dem Preis zu haben ist, dass ausgerechnet zum Weihnachtsfest Väter für irrelevant erklärt werden, ist dabei nebensächlich. Die Familie ist ohne den Vater komplett und glücklich – er würde nur stören. Ich würde gern wissen, was passiert wäre, wenn ein solcher Werbespot mit einem alleinerziehenden Vater gedreht worden wäre und er ebenso hämisch die Mutter für überflüssig erklären würde.
„Für uns umfasst der Familienbegriff (…) mehr als das klassische Bild der ‚Mutter-Vater-Kind-Familie‘„,
schreibt Nivea Deutschland in einer Stellungnahme zur Kritik an der Werbesendung. Dass die Ausblendung des Vaters als modernes Familienmodell verkauft wird, zeigt, wie wenig sich die Verantwortlichen dafür interessieren, dass die Vaterausgrenzung lange Traditionen hat.
Die Josefsfigur ist ein guter Anlass, eine Geschichte darüber zu erzählen – eine Geschichte, die eben den Vater in den Mittelpunkt stellt, der in der glücklichen Nivea-Familie nicht vorkommt. Aber vorher:
Ich wünsche allen, wo und wie auch immer, sehr schöne Feiertage!
Josefs Stern. Eine Weihnachtsgeschichte
Josef übernahm immer die Weihnachtsschichten. Er kam am frühen Mittag vor dem Heiligen Abend, blieb die Nacht über, machte einige Stunden Pause und kam am nächsten Mittag zurück. Heiligabend selbst sei gar nicht so schwer für die meisten, sagte er, erst danach würden viele ganz verstehen, was es heißt, über die Feiertage allein zu sein.
Der Stern an der Spitze des Weihnachtsbaumes leuchtete nicht. Ich war noch allein mit Josef. Er arbeitete schon sehr viel länger als ich in dem kleinen Haus hinter der Kirche, das pausenlos geöffnet war und das auch einige Notschlafplätze bereithielt. Er nahm den Stern ab. Der Raum war nun am frühen Nachmittag noch leer, wir erwarteten die Besucher erst später zur Feier.
„Was hast du eigentlich gegen Weihnachten?“, fragte ich Josef. „Wir würden mit dir abwechseln, wenn du wolltest. Warum bleibst du die ganze Zeit hier?“
Josef nahm den Weihnachtsstern vorsichtig auseinander und überprüfte die Lichterkette darin. „Es ist schon in Ordnung so, keine Sorge“, sagte er. „Ich mach das gern. Und ich muss Weihnachten etwas zu tun haben. Für mich ist es ohnehin kein Familienfest.“
Das hatte mich von Beginn an bei Josef irritiert: Ich wusste nie genau, wann er etwas ernst meinte. Wenn er einen Witz machte, war das – aber das hatte ich erst spät gemerkt – daran zu erkennen, dass er todernst schaute, anders als sonst.
„Wir haben noch Zeit“, sagte ich, und da ich gerade Kaffee gekocht hatte, setzte ich mich zu ihm an den Tisch und schob auch ihm einen Becher hin.
„Rieke hieß sie“, sagte Josef beiläufig und schaute konzentriert auf eine Spitze des Sterns, aus der er eine Leuchtdiode herauszog. „Wir waren beide sehr jung, und wir hatten ein Kind zusammen. Oder sie hatte ein Kind, aber ich war immer dabei.“
„Ich wusste nicht einmal, dass du Vater bist.“
„Ich weiß es selbst nicht so genau. Jedenfalls bekam Rieke ihr Kind, unser Kind, in der Zeit, als wir zusammen waren. Ich war dabei bei der Geburt, obwohl sie mir gesagt hatte, dass ich vermutlich nicht der Vater bin. Aber was sollte ich machen, ich war nun einmal sehr verliebt. Sie war toll.“ Josef schaute ernst auf die Lichterkette.
„Die Geburt war furchtbar. Rieke hat so geschrien … und ich konnte nichts machen. Aber als der Kleine da war, dachte ich nicht mehr daran. Er schrie, die Hebamme legte ihn mir in den Arm, und ich sagte die ganze Zeit: ‚Es ist alles gut, es ist alles gut, es ist alles gut …‘
Später, als Rieke und der Junge schliefen, kamen drei Freunde von mir. Sie wussten, dass das Kind wohl nicht mein Kind war, sie verstanden nicht, was ich tat, aber sie kamen zu mir. Es war mitten in der Nacht, in der Aufregung von Riekes Geburtswehen hatte ich mein Geld zu Hause vergessen und konnte mir nicht einmal einen Kaffee leisten. Carsten gab mir einen aus und sagte:
‚Wir wissen nicht, was du hier eigentlich machst, aber da wir gerade nichts anderes zu tun hatten, dachten wir, ein bisschen Geburtstourismus wäre zur Abwechslung einmal ganz interessant.‘
Merle umarmte mich und flüsterte in mein Ohr: ‚Du bist ein Esel. Aber es ist toll, was du tust.‘
‚Oder ein Ochse‘, sagte Ben, ‚jedenfalls kein Stier.‘ Er lachte. Merle gab mir eine Zigarette, und wir gingen zum Rauchen vor die Tür des Krankenhauses.
‚Es ist etwas Besonderes‘, hab ich ihnen gesagt. ‚Als er zur Welt kam, war er im ersten Moment ganz fremd, wie ein kleines Alien. Aber dann hatte ich das Gefühl … dass es richtig ist. Dass ich mich um ihn kümmern werde.‘
‚Und du bist dir sicher?‘, fragte Carsten.
‚Natürlich nicht. Bauchschmerzen habe ich, die ganze Nacht schon. Nicht nur im übertragenen Sinne … mein Bauch tut so weh, als wär ich selbst schwanger gewesen.‘
‚Immer diese sensibel mitfühlenden Männer‘, sagte Merle grinsend, ‚Rieke kann froh sein, dass sie sich nicht um dich kümmern musste, während sie nebenbei das Kind bekam.‘ Ben aber ging in das Haus zurück und versuchte, ein Mittel gegen die Bauchschmerzen aufzutreiben.
‚Ich weiß selbst nicht, ob es richtig ist, was ich hier mache. Oder ob sie einen Trottel aus mir macht. Aber zumindest beim Namen habe ich mich durchgesetzt.‘
‚Grandios. Wie soll er heißen?‘, fragte Carsten.
‚Jes. Das ist ein alter norddeutscher Name, oder ein dänischer. Er klingt wie das englische Ja. Das gefällt mir.‘
Ich war nun einmal noch sehr jung, damals.“
Josef hatte nun die ganze Lichterkette aus dem Stern entfernt und packte eine neue aus. „Wie ging es dann weiter?“, fragte ich.
„Sehr gut. Viel besser als befürchtet. Bald allerdings zogen wir um, weil der Kleine krank war und eine Luftveränderung brauchte, an die Küste – aber wir lebten zusammen wie eine richtige Familie. Bis er zwölf war.
Rieke und ich hatten uns ab und zu gestritten, nichts Ernstes, hatte ich gedacht. Doch eines Abends sagte sie mir, dass sie etwas Raum für sich bräuchte und bei ihrer Schwester in Berlin unterkommen wolle. Den Kleinen wollte sie mitnehmen, nur für eine Weile, bis sie ihre Gedanken geordnet hätte. Ich verstand sie nicht, bekam Angst, jedenfalls war ich nicht einverstanden. Als ich am nächsten Tag von der Arbeit nach Hause kam, war sie mit dem Jungen weg.
Ich rief sie an, schrieb ihr Mails – aber sie antwortete, dass ich alles nur noch schlimmer machen würde, wenn ich sie unter Druck setzte, und dass sie Zeit bräuchte. Also wartete ich. Drei Monate, tatsächlich, auch wenn mir das heute verrückt erscheint. Dann fuhr ich nach Berlin, zur Schwester, und die sagte mir nach langem Bitten, dass Rieke mit dem Jungen bei einem alten Freund eingezogen war.
Ich fuhr hin, wütend, panisch, ich klingelte – und ausgerechnet Jes öffnete. Ich sagte dem Kleinen, dass ich ihn mit nach Hause nehmen würde, aber er antwortete, dass er schon zu Hause sei und nun bei seinem richtigen Vater leben würde.
Rieke kam dazu, sagte mir, ich solle den Jungen in Ruhe lassen, schrie mich schließlich an, dass ich gehen solle. Ich hätte den Mann, den ich gar nicht kannte, gern zusammengeschlagen, aber ich ging und sagte nichts mehr. Rieke bleib dabei, dass dieser Mann der richtige Vater von Jes sei, aber ich weiß bis heute nicht, ob das stimmt.“
„Was ist denn jetzt mit Jes?“
„Ich hab ihn seit zehn Jahren nicht gesehen. Er studiert, das weiß ich, ich habe ihm ab und zu Briefe geschrieben, aber kaum einmal eine Antwort bekommen.“
Während er erzählt hatte, hatte Josef die neue Lichterkette in den Spitzen des Sterns befestigt. Nun legte er alles beiseite, sah mich an und sagte: „Ich wünsche dem Jungen alles Gute. Dass er ein langes Leben haben wird, und dass er irgendwann als alter Mann von seinen Kindern und Enkelkindern Besuch bekommt.“ Dann nahm er den Stern wieder auf und fügte hinzu, ohne seine Mine zu verziehen: „Er braucht also definitiv mehr Glück bei den Frauen als ich.“
Er war nun fertig, steckte den Stecker der Lichterkette in die Steckdose – und der Stern leuchtete. „Jetzt wissen die Mühseligen und Beladenen wieder, wo sie hingehen müssen. Ich hatte schon befürchtet, Weihnachten ohne anständigen Stern verbringen zu müssen, das hätte mir schwer zu schaffen gemacht.“
Ich befestigte den Stern oben auf dem Baum und wusste nichts zu sagen. „Ist alles in Ordnung?“, fragt ich schließlich.
„Nein“, antwortete Josef. „Und bei dir?“
Er hätte aber das Gefühl, aus all dem noch etwas Sinnvolles gemacht zu haben, und deshalb arbeite er auch zu Weihnachten gern. Es gäbe schließlich andere, denen es deutlich schlechter ginge als ihm.
Als ich etwas später nach Hause ging, war es schon dunkel geworden. Es nieselte, ich überquerte die Straße und blickte mich noch einmal um. Durch das Fenster sah ich den Stern leuchten.
Der Artikel erschien zuerst auf man tau.