Die Vision, menschliche Arbeit könnte weitgehend von Robotern übernommen werden, sollte angesichts des Geburtenrückgangs zum Gegenstand einer politischen Debatte werden. Und nicht nur angesichts des Geburtenrückgangs.
Als ich ein kleiner Junge war – das war Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts -, sah ich einen Fernsehbericht und traute nicht meinen Augen: Roboter haben Autos zusammengebaut. In der Produktionshalle sah ich keinen einzigen Menschen.
Bis dahin kannte ich so etwas nur aus Science-Fiction-Filmen. Doch es war kein Science-Fiction-Film, wie mir mein Vater versicherte. Ich weiß nicht mehr genau, aus welchem Land dieser Fernsehbericht kam, vermutlich aus Japan.
Seitdem sind mehr als 40 Jahre vergangen. In all den Jahren habe ich mich immer wieder gefragt, warum die Vision, menschliche Arbeit könnte weitgehend von Robotern übernommen werden, nicht konsequent verwirklicht wurde. Der Traum der Menschen, nicht mehr arbeiten zu müssen (wenigstens im traditionellen Sinne des Wortes „Arbeit“) und sich anderen Betätigungen, sei es politischer oder künstlerischer Art, zu widmen, hätte seitdem mit Hilfe der modernen Technik realisiert werden können.
Ich erfuhr, dass mächtige politische Kräfte, allen voran die Gewerkschaften, aber auch politische Parteien (nicht nur die technikfeindlichen) an der Verwirklichung dieser Vision nicht interessiert waren. Daran hat sich bis heute nichts geändert. All diese politischen Kräfte streben nach Vollbeschäftigung und bedienen sich dabei des Slogans „Jeder sollte eine Arbeit haben“. Sie verweisen darauf, dass eine radikale Rationalisierung, zu der die Ersetzung der menschlichen Arbeitskraft durch Roboter gehört, zu noch mehr Arbeitslosigkeit führen würde.
Roboter können nicht menschliche Arbeit in allen Bereichen der Wirtschaft übernehmen. Im Dienstleistungssektor z.B. können sie nur im begrenzten Maße eingesetzt werden. Doch in der Warenproduktion oder in der Schwerindustrie könnte die maschinelle Rationalisierung noch radikaler vorangetrieben werden.
Es ist erstaunlich, dass angesichts des Geburtenrückgangs, der Steigerung der Lebenserwartung und der Alterung der Bevölkerung in Deutschland die besagte Vision fast gar nicht diskutiert wird. Eine Ausnahme dazu stellt ein bereits vor einigen Jahren von Gérard Bökenkamp publizierter Artikel dar.
Der Autor betrachtet die Rationalisierung als eine Chance, die Folgen des demographischen Wandels abzumildern. Als Vorbild gilt dabei das ebenfalls geburtenarme Japan. Wenn Arbeitskräfte aufgrund der demographischen Entwicklung nicht mehr zur Verfügung stehen, können „alle Möglichkeiten der so oft gegeißelten Rationalisierung … in den nächsten Jahrzehnten ausgeschöpft werden.“ Wird menschliche Arbeitskraft durch Maschinen, Roboter oder Computer ersetzt, hat das eine erhebliche Steigerung der Wirtschaftsproduktion zur Folge. Durch eine radikale Rationalisierung könnte ein unermesslicher Reichtum erwirtschaftet werden.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Frage nach der Verteilung des mit Hilfe von Robotern erwirtschafteten Kapitals. Der Ertrag aus dem Einsatz von Robotern kann – wie es Gérard Bökenkamp vorschlägt – auf dem Konto eines kinderlosen oder enkellosen Pensionärs in Form der Dividende seiner fondsgestützten Altersvorsorge landen. Das Kapital kann aber auch anders verteilt werden: mehr Investitionen in weitere Zukunftstechnologien oder bessere Sicherung der Sozialsysteme.
In einem heute in NovoArgumente erschienenen Artikel zeigt der Ingenieurwissenschaftler Colin McInnes weitere positive Aspekte der Automatisierung auf: Die Automatisierung setzt Arbeitskräfte frei, die sich weiter qualifizieren können, wodurch neue anspruchsvollere Berufe geschaffen werden, die Kreativität erfordern und die ihrerseits nicht automatisiert werden können; die Automatisierung drückt die Preise, wodurch Produkte und Dienstleistungen für alle zugänglich werden. Dabei sollten wir sicherstellen, dass die durch die Automatisierung erfolgte Produktivitätssteigerung wirklich zu Preissenkungen und nicht zur „Anhäufung von Reichtum durch Kapital“ führen wird. Auch für McInnes ist somit die Frage nach der Verteilung des Reichtums von entscheidender Bedeutung.
Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, „dass absolut jeder seinen Lebensunterhalt selbst erwirtschaften muss“ (Buckminster Fuller). Arbeit ist in den hochentwickelten Industrieländern nicht für das tägliche Überleben notwendig. Die durch die Automatisierung entstehende Freizeit kann als „die Abwesenheit der materiellen Notwendigkeit von Arbeit“ bestimmt werden. Wenn diese Notwendigkeit nicht mehr besteht, können wir uns in der Freizeit „höheren Tätigkeiten“ widmen. Wir sollten uns freuen, dass Maschinen und Roboter uns die Arbeit abnehmen.
Wie auch immer die Folgen einer radikalen Rationalisierung sowie Automatisierung und die Verteilung des durch sie erwirtschafteten Kapitals aussehen könnten, es würde sich auf jeden Fall lohnen, eine breite gesellschaftliche Debatte darüber in Gang zu setzen.
Ich studierte Philosophie, Soziologie und Sprachwissenschaften.
Meine Doktorarbeit schrieb ich über den Begriff der Lebenswelt.
Ich stehe in der Tradition des Humanismus und der Philosophie der Aufklärung. Ich beschäftige mich vorwiegend mit den Themen "Menschenrechte", "Gerechtigkeit", "Gleichberechtigung" und "Demokratie".
In meinen Büchern lege ich besonderen Wert auf Klarheit und Verständlichkeit der Darstellung. Dabei folge ich dem folgenden Motto des Philosophen Karl Raimund Popper: „Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann“.