Dank der modernen Reproduktionsmedizin und nicht zuletzt dank der Auflösung der abendländisch-patriarchalischen Werteordnung haben sich für den Mann ganz neue „Windows of Opportunity“ geöffnet, so weit wie kaum jemals zuvor in der Geschichte.
Sein ganz persönlicher, individueller Gencocktail lässt sich hundertfach, ja tausendfach reproduzieren, kurz der Mann von heute kann beliebig Nachwuchs produzieren, wenn – auch das liegt im Trend der Zeit – Frauen auf seine Samenzellen zurückgreifen oder er sich eine Leihmutter leisten kann. Das ist zunächst einmal nichts Neues, sondern schon seit Jahrzehnten bekannt. Und es wird seit Jahrzehnten auch praktiziert. Der österreichische Biologe Bertold Wiesner hatte zusammen mit seiner Frau Mary Barton schon zwischen 1940 und 1960 eine Fruchtbarkeitsklinik in London betrieben, die Frauen zu rund 1500 Babys verhalf. Den Großteil des verwendeten Spermas soll Wiesner selbst gespendet haben. Sechshundertfacher Vater soll er gewesen sein. Das Glück, alle seine Kinder selbst in Augenschein zu nehmen, blieb ihm allerdings verwehrt.
Neu ist etwas anders, nämlich der rechtliche Rahmen, der für die künstliche Befruchtung entsteht, und der – gestützt auf weiteren technischen Fortschritt und die Implosion des Christentums – eine Dynamik völlig neuer sozialer Entwicklungen entfacht. Dank der Rechtsprechung europäischer und deutscher Gerichte haben Kinder von Samenspendern das Recht, ihren biologischen Vater kennenzulernen. Der Bundesgerichtshof hat in seinem wegweisenden Urteil vom 28. Januar 2015 (AZ XII ZR 201/13) den Anspruch des Kindes auf Auskunft über die Identität des anonymen Samenspenders weiter gestärkt. Ein Kind, das durch eine „künstliche heterologe Insemination“ (d. h. künstliche Befruchtung) gezeugt wurde, könne grundsätzlich von der Reproduktionsklinik Auskunft über die Identität des anonymen Samenspenders verlangen. Dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung komme gegenüber anderen Rechtsgütern wie der „Berufsausübungsfreiheit des Reproduktionsmediziners“ oder der „ärztlichen Schweigepflicht“ „regelmäßig ein höheres Gewicht“ zu. Der Auskunftsanspruch des Kindes sei „Ausfluss seines verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ und diene dazu, „eine Information zu erlangen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit von elementarer Bedeutung sein kann.“ Ein bestimmtes Mindestalter des Kindes sei dafür nicht erforderlich. Weder der Auskunftsanspruch noch seine Geltendmachung setzten ein bestimmtes Mindestalter des Kindes voraus. Machten die (sozialen) Eltern den Anspruch als gesetzliche Vertreter ihres Kindes geltend, setze dies voraus, dass die Auskunft zum Zweck der Information des Kindes verlangt wird. Außerdem müsse die Abwägung aller rechtlichen Belange – auch derjenigen des Samenspenders – ein Überwiegen der Interessen des Kindes an der Auskunft ergeben. Soweit der Bundesgerichtshof Anfang des Jahres.
Es wird nicht lange dauern, bis das Theater um die Anonymität des lediglich samengebenden Vaters beendet sein wird. Es ist zu erwarten, dass Kinder in aller Regel ihre vollständige Abstammung kennen wollen. Dem Recht des Kindes, seinen biologischen Vater kennen zu lernen, wird sich bald auch das Recht des samenspenden Vaters hinzugesellen, sein Kind zu kennen und eine Verbindung mit ihm aufzubauen. Die Diskussion ist eröffnet, ob dem samenspendenden Vater nicht auch Rechte, z.B. bei Erziehungsfragen seines Kindes, eingeräumt werden müssen. Immerhin bestimmt das Grundgesetz (Art. 6, Abs. 2 GG), dass die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sind. Über die Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
Die Eltern von Kindern, die durch künstliche Befruchtung gezeugt wurden, sind gut beraten, den biologischen Vater von vorneherein in das Familienleben einzubeziehen. Warum sollte der biologische Vater – auch wenn er keinerlei Verpflichtungen gegenüber seinem Nachwuchs übernehmen muss, es aber freiwillig ja tun kann – nicht von Anfang an einvernehmlich und vertrauensvoll an der Entwicklung seines Kindes teilnehmen. Da die traditionelle Familienstruktur ohnehin zerbröselt, steht neuen Familientypen nichts im Wege.
Es ist eine Frage der Zeit, dass Homo- und Lesben-Ehen der heterosexuellen Ehe rechtlich völlig gleichgestellt werden. Sie gelangen somit unter den besonderen Schutz der in Artikel 6 des Grundgesetzes enthaltenen Bestimmungen. So hat dann z.B. die Leihmutter – sagen wir aus der Ukraine – „Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“ (Art. 6 Abs. 4 GG). Eine gekaufte Schwangerschaft zum Schnäppchenpreis wird es dann nicht mehr geben. Auch der Einführung des Adoptionsrechts für schwul/lesbische Paare in Deutschland steht dann nichts mehr im Wege.
Gleichgeschlechtliche Eltern – auch das ist eine Frage der Zeit und der entwicklungsbedingten Rationalität – werden sich schließlich „ehrlich“ machen wollen und müssen und zu neuen familiären Strukturen bereit sein. Das werden die durch künstliche heterologe Insemination gezeugten Kinder ohnehin erwarten und wohl auch die samenspendenden biologischen Väter. An ihrer wachsenden Bedeutung und auch an der Achtung vor dem samenspendenden Vater geht in Zukunft kein Weg mehr vorbei.
So werden wir es in nicht allzu ferner Zukunft erleben, dass ein Mann im vorgerückten Alter im Kreise seines hundertfachen, vielleicht sogar tausendfachen Nachwuchses Geburtstag oder Weihnachten feiert. Ein grandioses Ereignis. Gehen wir nicht herrlichen Zeiten entgegen?