Es war ja von Seehofers CSU eigentlich nichts anderes zu erwarten: Die bayrische Schwesterpartei setzte selbstbewusst, mit Gebrüll und Getöse zum Sprung an, um schließlich als Bettvorleger zu Füßen der Kanzlerin unsanft und mit Blessuren zu landen.
Der „Münchner Friedensschluss“ zwischen Merkel und Seehofer vom 7. Februar ist – wie jeder im Fernsehen sehen konnte – an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten. Mehr an Heuchelei geht wirklich nicht mehr. Allein dafür müssten die christlichen Schwesterparteien bei der kommenden Bundestagswahl gehörig abgestraft werden.
Der „Münchner Friedensschluss“ ist bitter für all diejenigen, die die Sprüche und Ankündigungen aus München, Seehofers Heißluft, ernstgenommen hatten. Keine Rede mehr vom fortgesetzten Rechtsbruch, keine Rede mehr von verfehlter Ayslpolitik, keine Rede mehr von den notwendigen Korrekturen an Merkels desaströser Flüchtlingspolitik.
Das unrühmliche Ende der traurig faden Politposse, die der CSU Chef einer entgeisterten Öffentlichkeit monatelang zur Schau stellte, ist dabei nicht einmal das Schlimmste, was uns in diesem Wahlkampfjahr blühen wird. Jeder demontiert und blamiert sich schließlich so gut er kann.
Schwerer wiegt, die Union zieht mit dem „Friedenschluss“ von München in den Wahlkampf, ohne die entscheidende Frage zu beantworten, die ja alle brennend interessiert und die sich stellen: die Flüchtlingsfrage. Wie halten wir es mit den Millionen von Menschen, die auf gepackten Koffern sitzen und auf ein Zeichen aus Deutschland warten? Merkel hat sich alle Optionen offen gelassen. Niemand weiß, wie Merkel reagieren wird, wenn eine ähnliche Situation wie im Spätsommer 2015 eintreten wird und Hundertausende von Flüchtlingen an den Grenzen Südeuropas auf eine Durchreise nach Deutschland hoffen?
Bei dem Streit um die Festlegung einer Obergrenze für Flüchtlinge geht es nicht um eine zahlenmäßige Festlegung. In Wahrheit ist der Streit eine Chiffre. Es geht nicht um eine Zahl. Darüber könnte man sprechen. Und auf die könnte man sich auch einigen. Es geht um etwas anderes. Um etwas fundamental anderes. Merkel will sich nicht festlegen, ob sie nicht doch wieder – wie 2015 – die deutschen Grenzen voraussetzungslos öffnet und alle Flüchtlinge ins Land lässt, wenn die Lage es ihrer Meinung nach erfordern sollte.
Es geht also bei der kommenden Bundestagswahl um diesen Blankoscheck, den Angela Merkel von ihren Wählern einfordert.
Und es geht um mehr. Weit mehr. Es geht um die Zukunft Europas. Nichts hat der europäischen Union in den vergangenen Jahren mehr zugesetzt, nichts hat das Misstrauen gegenüber den Deutschen in Europa so angeheizt wie Merkels nationaler Alleingang in der Flüchtlingspolitik. Ohne das Bekenntnis der Bundesregierung zu einer zahlenmäßigen Begrenzung, d. h. einer deutschen Obergrenze, kann es und wird es nicht zu einer europäischen Verständigung über die Verteilung von Flüchtlingsströmen auf die Mitgliedsländer kommen. Und dann wäre der Zusammenhalt der Europäischen Union massiv gefährdet.
Und schließlich wird das Ergebnis der Bundestagswahl wie kaum eine deutsche Wahl zuvor weltweite Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Vor allem in den Ländern und Regionen, in denen Millionen von Flüchtlingen mit Spannung darauf warten, ob Angela Merkel von den Deutschen wegen und für ihre Flüchtlingspolitik wiedergewählt wird. Wird Merkel die Wahl erneut für sich entscheiden, ist das auch ein klares Signal für all diejenigen Fluchtbereiten, die Merkels Flüchtlings-Selfie wie ein Heiligenbild mit sich herumtragen.
Seehofer hatte wohl geahnt, was auf die Union zu kommen wird, wenn Merkel bleibt. Doch er hatte keine Strategie, sie loszuwerden, und seine Partei hatte zu wenig Mut, die richtigen Wegmarkierungen in dieser vertrackten Lage zu setzen. Jetzt sitzt er mit Merkel in der Falle und hofft, dass Strahlemann Schulz sein Lachen bald vergehen wird. Für einen Wahlkampf ist das verdammt wenig.