Im Jahre 2008 verabschiedete die UNO-Generalversammlung das „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (UN-Behindertenrechtskonvention, kurz: UN-BRK), welches in Deutschland 2009 ratifiziert wurde (UN, 2008). Grundgedanke dieser Konvention stellt der Begriff der Inklusion dar, der als gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen – insbesondere solchen mit Behinderungen – in der Gesellschaft verstanden wird.
Angelehnt an die Salamanca-Erklärung der UNESCO des Jahres 1994 (UNESCO, 1994) wird Inklusion als weiterentwickeltes Konzept der Integration verstanden, in welchem niemand von Anfang an exkludiert wird und somit prospektiv integriert werden muss.
Nach der UN-BRK beinhaltet Inklusion unter anderem das Recht auf Bildung beziehungsweise Zugang zum allgemeinen Bildungssystem, umgesetzt durch die Verwirklichung und Gewährleistung eines „integrativen Bildungssystems auf allen Ebenen und [durch] lebenslanges Lernen“ (UN-BRK, Art. 24, Abs. 1).
Konkret bedeutet dies eine Zusicherung eines „…inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht[s] an Grundschulen und weiterführenden Schulen…“ (UN-BRK, Art. 24, Abs. 2e) seitens der Vertragsstaaten, was unter anderem die Zusicherung der Einstellung entsprechenden Lehrpersonales (UN-BRK, Art. 24, Abs. 4) sowie eine Erweiterung des Geltungsraumes dessen über den sekundären Bildungsbereich hinaus beinhaltet. Es scheint eine „…volle und gleichberechtigte Teilhabe an der Bildung und als Mitglieder der Gemeinschaft…“ (UN-BRK, Art. 24, Abs. 3) behinderter Menschen in unserer Gesellschaft erstrebenswert. Begreiflicherweise wird eine sich der institutionsbezogenen Sichtweise abwendende hin zu einer individualistisch orientierenden Perspektive ersichtlich.
Die „babylonische Sprachverwirrung“
Aus theoretischer, wissenschaftlicher Perspektive wurden jedoch die Ansätze der Integration stets als inklusive verstanden, weswegen man den Begriff der Inklusion als einen Neologismus, ja sogar als Euphemismus im Sinne einer neuen Form, eines neuen Gewandes bei gleichbleibendem Inhalt betrachten kann. Wie eine Realisierung dessen jedoch konkret unter den gegenwärtig unterschiedlichen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Rahmenbedingungen umgesetzt werden kann beziehungsweise welche gesellschaftsstrukturellen Bedingungen sowie womöglich einhergehende notwendige oder hinreichende Veränderungen hierfür unabdingbar scheinen, stellt nicht Gegenstand des Inhaltes der UN-BRK dar.
Hinzukommend werden aufgrund semantischer Unklarheiten des Begriffes der Inklusion seine durch unter anderem kulturelle Einflüsse differierende Bedeutungen vernachlässigt, was nochmals durch wissenschaftstheoretische Probleme und dementsprechend fehlenden Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinde untermauert wird. Wocken (2010, S. 204) spricht hier treffenderweise von einer „babylonischen Sprachverwirrung“ – bezüglich der Begriffskonfusion zwischen Integration und Inklusion. Diese betrifft desgleichen einen genauso bedeutsamen, komplementären Begriff; denjenigen der Heterogenität, welchen Wenning (2007) wie folgt expliziert: „Heterogenität ist ein „relativer“ Begriff, sie hängt vom Maßstab ab und ist nur zusammen mit Homogenität zu betrachten, wird erst durch Vergleichsoperationen „hergestellt“ und ist wandelbar“ (S. 24).
Anforderungen einer schulischen Heterogenität: insbesondere Akzeptanz von Heterogenität als Normalität
Inklusion beinhaltet stets Heterogenität, Vielfalt, weswegen auch von einer Pädagogik der Vielfalt (Prengel, 1993/2006) gesprochen werden kann. Folglich sehen sich die einzelnen Vertragsstaaten – nebst begrifflicher Schwierigkeiten aus wissenschaftstheoretischem und schulpädagogischem Blickwinkel – vor einer Herausforderung der Umsetzung des inklusiven Gedankens mit national realexistierenden unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und Anforderungen konfrontiert, was – wie auch in Deutschland geschehen – überfallartig geschah und noch heutzutage geschieht. Denn die oben dargelegte grundlegende Begriffskonfusion geht konsequenterweise in eine Handlungskonfusion über, welche gerade hemmend und kontraproduktiv für den gesellschaftlichen und schulpädagogischen Kontext ist.
Nichtsdestotrotz werden resultierende Anforderungen aus einer schulischen Heterogenität seit Jahren rege im wissenschaftlichen wie auch im (bildungs-)politischen Diskurs thematisiert. Jedoch scheitert ihre praktische Umsetzung unter anderem aufgrund der begrifflichen Ambiguität und Abstraktheit (im Sinne von nicht auf eine konkrete Schule ausgerichtet) dieser genannten Anforderungen und hierzu nicht komplementär anzutreffender Strukturen.
Anforderungen bezüglich der anzutreffenden Heterogenität können sich im bildungswissenschaftlichen Bereich auf unterschiedlichen Ebenen ergeben. Dies wären grob gegliedert (1) die wissenschaftlich-theoretische sowie wissenschaftlich-empirische und (2) die praktische Ebene. Beide lassen sich wiederum in weitere Unterkategorien auffächern. Aus wissenschaftlicher Perspektive kann abermals auf die analytische Klärung des Begriffes der Inklusion (wie beispielsweise unterschiedliche Inklusionskonzepte) sowie komplementär hierzu auf den der Heterogenität verwiesen werden, und das sich hieraus ergebende Fehlen eines objektiven Maßes für Heterogenität, welches ein aktives Eingreifen sonderpädagogischer Maßnahmen im schulheterogenen Kontext indizieren würde.
Folglich bestehen keine (wissenschaftlich) objektiven, allgemeingültigen Kriterien für eine gelungene Inklusion in der Schulklasse, was durch eine geringe empirische Befundlage – neben diesem theoretischen Desiderat – die Realisierung eines inklusiven Unterrichtes zusätzlich erschwert. Dies erleichtert es den agierenden Akteuren – auf schulischer Ebene (zum Beispiel der Lehrkraft) wie auch auf politischer Ebene – nicht geeignete Maßnahmen für eine gelungene Inklusion anzuwenden. Außerdem findet eine einseitige Fokussierung auf die Schüler bezüglich des Heterogenitätsgedankens statt, die jedoch eine zu monoperspektivistische darstellt und folglich die Klassenrealität unvollständig, also bruchstückhaft widerspiegelt. Für eine gelungene inklusive Wirklichkeit jedoch sollte die Heterogenität auf jeglichen Ebenen (Mikro-, Meso- sowie Mikroebene), wie beispielsweise diejenige bezüglich der Lehrkraft (Mikroebene), des Unterrichtkonzeptes der jeweiligen Schule (Mesoebene) oder der legislativen Rahmenbedingungen (Makroebene), berücksichtigt werden.
Heterogenität stellt Teil unseres alltäglichen Lebens dar. Nichtsdestotrotz scheitern politische Akteure seit Jahren bei der Integration sowie der hiermit einhergehenden Anerkennung und Achtung bestimmter Personengruppen, wie zum Beispiel die von Migranten und Ausländern durch deutsche Inländer, was aktuell durch die unzähligen Anschläge auf Asylunterkünfte in Deutschland (verständlicherweise handelt es sich hier um ein Konglomerat unterschiedlicher Faktoren wie beispielsweise prekäre Arbeitsverhältnisse, Perspektivlosigkeit), verdeutlicht werden kann. Würde diese Anerkennung von Vielfalt oder – zum Beispiel im Falle von Personen mit Migrationshintergrund oder ausländischen Wurzeln – von Multikulturalität gesellschaftlich verankert sein, was unter anderem Chancengleichheit unabhängig von seiner Herkunft beinhaltet, würde Verschiedenheit in jeglicher Hinsicht als Normalität angesehen werden.
Unvereinbarkeit von Gruppen als primären Bezugspunkt des Denkens und dem inklusiven Gedanken
Diesen Gedanken übertrug Prengel (1993/2006, S.61) im bildungsspezifischen Kontext durch Verwendung des Begriffes der egalitären Differenz Honneths sozialphilosophischer Theorie der Anerkennung (vgl. Honneth, 1992). Dieser meint eine wechselseitige Bedingung von Egalität und Differenz sowie hiermit einhergehend die soziale Anerkennung der Vielfalt beziehungsweise des Individuums ohne Hierarchisierung dieses aufgrund seiner individuellen Unterschiede. Jedoch besteht eine universelle Tendenz des Menschen (normativ behaftete) gruppenbasierte Hierarchien zu bilden (vgl. „Theorie der sozialen Dominanz“ nach Sidanius & Pratto, 1999; Pratto, Sidanius & Levin, 2006), die durch entsprechend vorzufindende Umstände, konkreter gesellschaftliche Strukturen – wie Persönlichkeitseigenschaften grundsätzlich auch – verstärkt oder abgeschwächt werden kann.
In unserer (deutschen) Gesellschaft dominiert aufgrund des Vorherrschens ausgeprägter bürokratischer Strukturen, welche sehr tief in der deutschen Geschichte und Gesellschaft verankert sind, ein formalistisches und infolgedessen hierarchisch aufgebautes Denkmuster. Mutatis mutandis wird mehr in Kategorien oder anders formuliert kollektiv gedacht, was wiederum Stereotype und Vorurteile begünstigt. Diese Kategorisierung bleibt für das Selbstkonzept nicht unerheblich und resultiert in eine ausgeprägt gruppenspezifische Konstitution des Selbstkonzeptes. In Termini Tajfels und Turner (1979) mit ihrer Sozialen Identitätstheorie überwiegt die soziale Identität versus der persönlichen Identität.
In Kombination mit existentiellen Ängsten beziehungsweise sogar der Wahrnehmung existentieller Bedrohung in Folge – trotz ihrer auch positiven Aspekte – der bestehenden Globalisierung und ihrer Konsequenzen wie einer sich ausweitenden, vereinzelnden Gesellschaft oder einer erzwungenen größeren Mobilität (privat wie beruflich) sowie dazukommend der gegenwärtige Prozess der digitalen Revolution werden stereotype und vorurteilsbehaftete Denkprozesse begünstigt. Zwei Faktoren beziehungsweise Kompensationsmechanismen einer erhöhten existentiellen Bedrohung postulieren hierbei Greenberg, Pyszczynski und Solomon (1986) in ihrer Terror Management Theorie: (1) den Glauben an die absolute Gültigkeit der eigenen kulturellen Weltsicht sowie (2) das Erreichen eines kulturellen Wertestandards. Diese beiden wiederum erhöhen das Vorkommen von Vorurteilen, Stereotypen, den Wunsch nach einer charismatischen Führungskraft sowie Aggressionen gegenüber Fremdgruppen (vgl. Greenberg & Kosloff, 2008; Schimel et al., 1999).
Diese psychologischen Mechanismen sind jedoch diametral mit denen, die für eine gelungene Inklusion notwendig sind, verortet. Hierzu gehört auch die egalitäre Differenz (Honneth, 1992), die sich nicht mit Gruppen als primären Bezugspunkt des Denkens und Handelns sowie starren Strukturen des Bürokratieapparates vereinbaren lässt. Vielmehr spielen Flexibilität und eine Betonung des Individuums (wie dies im angloamerikanischen Raum der Fall ist) eine bedeutsame Rolle zur Realisierung einer tatsächlichen Inklusion.
„Man muss nur eine Kleinigkeit ändern: alles!“ (Villalobos, 2010)
Dieser Aspekt stellt zugleich einen Übergang von der (1) theoretischen zur (2) praktischen Ebene der Anforderungen einer anzutreffenden Heterogenität dar. Eine von außen, politisch-legislativ aufgezwungene Inklusion in Verbindung mit unpassenden gesellschaftlichen Strukturen kann nicht zielführend sein. Vielmehr wäre – wie bereits kurz umrissen – eine gesamtgesellschaftliche und nicht nur behindertenpädagogisch bezogene Internalisierung dieses Inklusionsgedankens notwendig, um den betroffenen Personen außerhalb dieses gesetzlich geregelten Rahmens wirkliche Teilhabe an der Gesellschaft zu gewährleisten und keine politische Verzögerungstaktik, die die Betroffenen spätestens mit Eintritt in das Berufsleben mit der alles anderen als inklusionsfreundlichen Realität konfrontiert. Wie der UN-Sonderberichterstatter Vernor Muñoz Villalobos treffend formulierte: „Man muss nur eine Kleinigkeit ändern: alles!“ (Villalobos, 2010).
Konkret auf die praktische Ebene transferiert, beinhaltet dies – abgesehen von grundlegend gesamtstrukturellen Veränderungen wie eine Reduktion des Bürokratieapparates – Anforderungen einer vorzufindenden Heterogenität im Schulkontext auf mehreren Handlungsfeldern. Zum einen müssen auf institutioneller Ebene passende politische und gesetzliche Rahmenbedingungen für eine gelingende Inklusion geschaffen werden, was Ressourcen (materiell wie auch personell) sowie entsprechende Unterstützungssysteme (beispielsweise Schulpsychologen, Soziologen) für die einzelnen Schulen beinhaltet. Diese genannten Ressourcen umfassen Aspekte der Schulgestaltung im Sinne inklusiver Räumlichkeiten, wie zum Beispiel das Gewähren von Barrierefreiheit, aber auch eine adäquate Lehrerausbildung sowie einen entsprechenden Lehrplan.
Jedoch werden diese Maßnahmen durch die sich auf drei Ebenen befindliche Gesetzgebung erschwert: (1) dem Bund, (2) der Kultusministerkonferenz sowie (3) den Ländern, die letztendlich die Entscheidungshoheit tragen, weswegen länderspezifische Bildungsrealitäten mit unterschiedlichen Inklusionsverständnissen und deren Umsetzungen existieren. Konkret auf die Lehrerausbildung bezogen, würde dies zum Beispiel eine Ausbildung mit verstärktem Fokus auf das Inklusionskonzept beinhalten, da sich die meisten Lehrkräfte für einen inklusiven Unterricht nicht kompetent ausgebildet fühlen. Andererseits sollten politische Anreize zur Rekrutierung der besten, kompetentesten Lehrer für den inklusiven Unterricht geschafft werden. Denn in diesem Bereich werden Lehrkräfte mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, für welche hohe Qualifikationen und Anforderungen für einen erfolgreichen Umgang unumgänglich sind.
Des Weiteren müssten in Anlehnung an die durch gesellschaftliche Veränderungen resultierenden Anforderungen (wie zum Beispiel eine erhöhte Mobilität), zu denen auch die Organisation der Schule gehört, flexible schulorganisatorische Rahmenbedingungen realisiert werden. Diese Flexibilität müsste sich aufgrund der heterogenen Zusammensetzung in der Schulklasse (von Hochbegabten bis Kindern mit sonderpädagogischen Förderbedarf) auch auf unterrichtskonzipierender Ebene wiederfinden. In concreto würde dies die Akzeptanz individueller Lernvoraussetzungen und -möglichkeiten sowie hiermit einhergehend die Akzeptanz einer zieldifferenten Unterrichtsgestaltung beinhalten. Hierzu wären individuelle, für jedes einzelne Kind konzipierte Lehrpläne, welche als Tages- oder Wochenplan umgesetzt werden könnten, unabdingbar.
„Übergeordnete Ziele“ zur Erreichung einer tatsächlichen Integration aller Kinder und aller Lehrkräfte
Darüber hinaus wären für eine tatsächliche Inklusion, die ebenfalls eine soziale Integration aller Kinder beinhaltet, Gruppenarbeiten, insbesondere Aufgaben mit Übergeordneten Zielen, in denen Kooperation notwendig zur Erreichung eines Zieles ist, vorteilhaft. Diese Übergeordneten Ziele können relevant für den Abbau von Vorurteilen sowie von Konflikten zwischen Gruppen sein, welches Sherif und Kollegen (Sherif, Harvey, White, Hood & Sherif, 1961) mit ihrer bekannten Ferienlagerstudie demonstrieren konnten. Diese Feldstudie, an der Jungen von etwa 12 Jahren teilnahmen, bestand aus drei Phasen. In der ersten Phase wurden zwei Gruppen zur Bildung einer Gruppenzugehörigkeit und -identifikation, die von der jeweiligen Existenz der anderen Gruppe nichts wussten, formiert. Für die nächste Phase wurden sich beide Gruppen gegenseitig bekannt gemacht und bewusst ein Intergruppenkonflikt durch Realisierung von Wettbewerben zwischen den Gruppen indiziert, der in der dritten Phase mittels der oben erwähnten Übergeordneten Ziele aufgelöst werden konnte. Folglich brachten gemeinsam, kooperativ zu lösende Aufgaben die gegnerischen Gruppen zueinander.
In diesem Kontext sollte daher auch die Kooperation zwischen den Lehrkräften und pädagogischen Kräften zum Beispiel für einen Abbau gegenseitigen Misstrauens oder für einen besseren (Informations)austausch bezüglich der individuellen Leistungsstände, Probleme oder Kompetenzen der Schüler gefördert werden. Zu beachten sei hierbei die Richtigkeit des Einsatzes von zusätzlichen, pädagogischen Kräften speziell für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf; denn diese betonen implizit die Andersheit sowie eine gewisse Sonderstellung dieser Kinder und bilden folglich zwei Lager in der Klasse: Kinder ohne und Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Um vielmehr dem inklusivem Aspekt gerecht zu werden, wären vielleicht pädagogische Kräfte, welche für alle Kinder zuständig wären, zielführender. Somit würde man nicht – wie es auch heutzutage vorzufinden ist – gruppenbezogen, sondern vielmehr individuell und flexibel agieren, was womöglich auch ein zu stark normatives, insbesondere negativ gerichtetes Denken aufgrund erhöhter Toleranz minimieren würde.
Schwierigkeiten der Implementation inklusiver Aspekte in das hiesige Schulsystem
Diese grundlegend gruppenorientierte, kollektive Ausrichtung des deutschen gesellschaftlichen Systems ist es auch, welche eine wirkliche Inklusion verhindert. Auf bildungspolitischer Ebene betrachtet sei hierzu exemplarisch die Bildung weitestgehend homogener Verbunde (wie zum Beispiel Klassen) zur Bewältigung der durch Heterogenität entstehenden Komplexität zu nennen; diese jedoch widerspricht dem Konzept der Inklusion.
Diese Abweichung bezieht sich auch auf gesamt- und bildungspolitisch gesellschaftliche Strukturen, welche sich aufgrund ihrer starren und veralteten Strukturen nicht der sich schneller ändernden Wirklichkeit anpassen können und im schlimmsten Falle unmündige, nicht an die Realität ausgerichtete Mitglieder produziert. Dies bestätigt unter anderem die steigende Unzufriedenheit der Schüler und Eltern mit dem hiesigen Bildungs- und Schulsystem, die systematische Ungleichbehandlung von Kindern insbesondere aus bildungsfernen Schichten, Kindern mit Migrationshintergrund und Kindern mit Behinderungen (Villalobos, 2006) sowie die Zunahme und erhöhte Frequentierung alternativer Schuleinrichtungen (wie zum Beispiel Waldorfschulen). Als weiterer Hinweis für die Fehlerhaftigkeit des bestehenden Schulsystems kann auch der überproportional häufige Anteil von Jungen und Kindern mit Migrationshintergrund an Sonderschulen angesehen werden. Ferner stellt die weiterbestehende Existenz von Sonder- beziehungsweise Förderschulen keinen wirklichen Wegweiser in Richtung des inklusiven Unterrichts dar.
Unvereinbarkeit eines reinen Leistungs- mit dem Inklusionsgedanken. „Entweder – Oder“ statt „Sowohl als auch“
Summa Summarum kann konstatiert werden, dass mehrere Faktoren für eine gelungene Inklusion behinderter Kinder in der Schule ausschlaggebend sind: (1) Inklusion muss als gesamtgesellschaftliches Konzept anerkannt werden, was einerseits die Internalisierung dieses Gedankens in den Alltag, also Verschiedenheit als Normalität versteht, sowie andererseits sich nicht nur auf behinderte Personen, sondern grundsätzlich auf alle Menschen bezieht. Ergo sollte ein gesamtgesellschaftliches Umdenken stattfinden (2) Infolgedessen wäre eine Abwendung vom gruppenbehafteten hin zu einem individuumzentrierten Denken, sowie eine von formalistischen, bürokratischen hin zu flexiblen Denkmustern (teilweiser Abbau bürokratischer Strukturen) erforderlich, um das Aufkommen von Stereotypen und insbesondere Vorurteilen zu minimieren. (3)
Neben diesen grundlegend gesellschaftlichen Veränderungen sollte auch das Bildungs- und Schulsystem gravierend verändert werden. Einerseits würde dies eine Aufklärungsarbeit beginnend in der Kindertagesstätte im Sinne der egalitären Differenz bedeuten. Andererseits würde die primäre Aufgabe des Lehrers nicht in einer reinen Wissensvermittlung, sondern weitergefasst auch in einer Wertevermittlung liegen. Dementsprechend würde die Lehrkraft wieder als Pädagoge fungieren. (4) Hierzu ist jedoch eine Abwendung des in unserer Gesellschaft stark verankerten Profit- oder Leistungsgedankens notwendig, welcher mittlerweile Einzug unter anderem in das Bildungssystem (wie etwa die Bologna-Reformen mit der Einführung des Bachelor- und Masterstudiums demonstrieren) gefunden hat, weswegen auch von einer Ökonomisierung der Bildung gesprochen werden kann.
Nichtsdestotrotz bemerkte bereits im Jahre 1989 Feuser – und tragischer Weise lässt sich diese Erkenntnis auch sechsundzwanzig Jahre später auf die vorzufindende Situation in Deutschland übertragen – über die meisten Inklusionsaktivisten: „Aber sie wollen im Grunde die Veränderungen des Erziehungs- und Bildungswesens nicht, zu der eine ernst genommene Integration gesellschaftlich wie fachlich führt, nämlich zu einem Kindergarten und zu einer Schule für alle. Es soll eben im Grunde alles so bleiben, wie es war:…“ (Feuser, 1989).
Dies scheint jedoch aufgrund der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage und hiermit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten insbesondere anderer EU-Staaten, wie Griechenland oder Spanien, verständlich. Deutschland möchte weiterhin seine wirtschaftliche Weltmachtposition beibehalten. Durch eine Änderung des Bildungssystems (oder sogar holistisch-gesellschaftlich intendiert) würde Deutschland seine Position und somit womöglich auch seinen Wohlstand einbüßen müssen. Dieser Preis scheint Deutschland zu hoch, weswegen andere Themen beziehungsweise Probleme wichtiger als die bezüglich der Inklusion erscheinen. Und diese wird es immer geben.
Andererseits erschwert jedoch der notwendig individuell umzusetzende inklusive Unterricht aufgrund seiner Komplexität (unter anderem abhängig von der konkreten Schülerzusammensetzung, den Lehrern, und so weiter) in Kombination mit entsprechend gesamtstrukturellen Voraussetzungen eine zielführende Realisierung; wie die genannte Unvereinbarkeit von Leistung und Inklusion. Aber als wesentlich bedeutsamer in diesem Zusammenhang sei die natürliche Konstitution des Menschen mit Aspekten der Konkurrenz, des Wettbewerbes und hieraus resultierenden Hierarchien, erwähnt.
Diese beiden Aspekte in Kombination – die Beschaffenheit des Menschen und die (vom Menschen erschaffenen) gesellschaftlichen Strukturen – lassen eine Verwirklichung der Inklusion im idealen Sinne unrealistisch erscheinen. Nichtsdestotrotz scheint ein Streben nach diesem zur Besserung unserer Gesellschaft und der Menschen sowie einer Abwendung der Überbetonung von Leistung wünschenswert, denn womöglich kann man dieser Illusion trotz Vernunftwidersprüche doch näher kommen als gedacht und somit auch dem erstrebenswerten Ziel einer humaneren Gesellschaft. Außerdem sei anzumerken, dass sich Leistung und Inklusion nicht notwendigerweise ausschließen müssen.
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