Teil 2: USA, Frankreich, Belgien, Norwegen – und Deutschland
Dass der Faschismus in den Zwanziger und Dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts eine große Faszination für viele Intellektuelle hatte, zeigen viele Beispiele auch im Westen, von denen das Ezra Pounds breiter beschrieben sei, der von der deutschen Kritik gerne als „Fall“ bezeichnet wird. Der US-Amerikaner Pound, der große Modernisierer der angelsächsischen Literatur, war von Mussolini ganz begeistert: „Ich persönlich halte äußerst viel von ihm.“ Aus einer unseligen Vorliebe für Wirtschaftstheorie und Bankwesen heraus verstieg er sich zu einer verqueren Kapitalismuskritik, als deren Lösung er den Faschismus ansah, der den „Wucher“ beenden würde. Das ist die sozialistische Komponente im Faschismus, die Hoffnung auf „Erlösung“ des kleinen Mannes von der Ausbeutung durch das fremde, jüdisch-amerikanische Großkapital. Von Oswald Spengler und Leo Frobenius beeinflusst, entwickelte er ein biologisch-rassisches Geschichtsverständnis, das natürlich genau passte. Seit 1924 in Mussolinis Italien, genauer: in Rapallo lebend, hielt er später Ansprachen über Radio Rom im Programm der sog. „Amerikanischen Stunde“, wollte die USA vom Kriegseintritt abhalten und verkündete Sachen wie diese: „Beginnt keine Pogrome. Das ist der alte Stil, die kleinen Juden zu töten. Das System ist nicht gut, wie auch immer. Natürlich, wenn ein Mann einen genialen Einfall hätte und ein Pogrom ganz oben starten würde. Ich wiederhole… wenn jemand mit einem Geniestreich ein Pogrom ganz oben starten würde: dafür gäbe es Argumente…“ oder: „Der große Jude hat jede Nation verdorben, in die er sich eingeschlichen hat.“ 1943 wurde Pound in den USA des Hochverrats angeklagt; nach Mussolinis Absetzung hatte Pound noch Kontakte mit Regierungsvertretern der faschistischen Republik von Salò und wurde von Partisanen gefangengenommen. Ausgeliefert landete Pound in einem der berüchtigten „Gorillakäfige“, den bei den Amerikanern bis heute beliebten einsehbaren Gitterdrahtzellen, im Straflager zu Pisa. Er wurde schliesslich für verrückt erklärt und in ein Hospital für Geisteskranke eingewiesen.
Pound wurde wahrscheinlich durch einen hohen Literaturpreis vor dem elektrischen Stuhl gerettet, den er, der weiterhin von einflussreichen Freunden gestützt wurde, für seine in der Gefangenschaft geschriebenen „Pisaner Cantos“ erhielt. Seine antisemitischen und rassistischen Auffassungen behielt er im wesentlichen bei, wozu auch Freundschaften mit Anhängern des Ku-Klux-Clans gehörten, und meinte, ein Mann müsse das Risiko für seine Überzeugungen tragen. Sein Biograf Hans-Christian Kirsch fragt ratlos: „Wie konnte es dazu kommen, dass dieser so stilsichere Sprachkünstler und scharfsinnige Beobachter Faschist wurde?“ Als ob ein Faschist nicht große Literatur schreiben könnte. Genau das ist das Problem der – vor allem deutschen – Kritik: Ein großer Künstler hat auch moralisch groß zu sein. Aber schon François Villon war ein Doppelmörder – und dennoch ein Lyriker von überragendem künstlerischem Rang. Wunschdenken und pauschale Urteile tragen wirklich nicht zum Verständnis bei.
In der Zeitschrift „Aurora“ hat sich Herwig Gottwald über die Nähe von Religiosität und politischem Extremismus Gedanken gemacht, eine Verbindung, die natürlich gerade bei Mircea Eliade zu untersuchen besonders aufschlussreich sein und die die parareligiösen irrationalen Elemente des Faschismus erklären könnte: Neugeburt, Transformation, Erlösung. Auch er sieht die merkwürdigen Unterschiede der Rezeption: „Während der norwegische Nobelpreisträger Knut Hamsun bereits unmittelbar nach Kriegsende öffentlich zur Verantwortung gezogen, vor Gericht gestellt, mit einer hohen, ihn wirtschaftlich ruinierenden Geldstrafe belegt wurde (erst in jüngster Zeit kam es zu einer langsamen Rehabilitierung in seinem Heimatland), während auch der französische Romancier und Kollaborateur Louis-Ferdinand Céline erst nach Jahren in seine Heimat zurückkehren konnte, gelang es anderen politisch belasteten Intellektuellen, sich einer Konfrontation mit ihrer Vergangenheit weitgehend zu entziehen: Martin Heidegger ist der prominenteste deutsche Philosoph mit eindeutig nationalsozialistischer Vergangenheit, dem sein politisches Engagement 1933 nicht geschadet hat, der im Gegenteil nach 1945 einen zweiten Aufstieg erlebte und dessen Werk bis heute, im Zeichen der Postmoderne, nahezu ungebrochen positiv rezipiert wird (etwa in germanistischen Lehrbüchern ebenso zur Grundlektüre empfohlen wird wie in einschlägigen kulturwissenschaftlichen Handbüchern).“
Es war aber nicht nur die deutsche Nase, die am nazistischen Gestank nichts auszusetzen fand, so fein sie sonst das kleinste Gschmäckle erspürt. Auch existentialistische und postmoderne Philosophen wie Jean-Paul Sartre und Jacques Derrida, ja sogar eindeutig marxistische Denker wie Herbert Marcuse haben sich von Heidegger, einem glühenden Nationalsozialisten und Reformer des Bildungssystems nach dem Führerprinzip, ohne größeres Problembewußtsein beeinflussen lassen. „Ein extremes Beispiel“, schreibt Gottwald weiter, und man weiß nicht, ob es wirklich noch extremer geht als im Falle Heideggers, „ist der Fall Paul de Man. Der belgische Literaturtheoretiker, längst zur Ikone der internationalen Postmoderne avanciert und als Kanonautor des Poststrukturalismus in die Lehrbücher für die akademische Jugend eingegangen, war während des Zweiten Weltkrieges Mitarbeiter der belgischen Kollaborationszeitung ‚Le Soir‘ und schrieb in den Jahren 1940 bis 1941 mehrere antisemitische Artikel, in denen er sich u.a. ‚für eine von Europa isolierte jüdische Kolonie‘ aussprach, was nach seiner ‚Emigration‘ in die USA (nach 1945!) bis nach seinem Tod vertuscht wurde, seiner Beliebtheit in den postmodernen Literaturtheorien aber keinen Abbruch tat. Weitere Fälle sind Julius Evola für Italien, Enrico Marco für Spanien und eben Cioran und Eliade für Rumänien.“
Man sieht, Vergessen und Verzeihen allerorten, auch das liberale Norwegen erbarmt sich des gefallenen großen Sohnes! So viele Größen hat man ja nun auch wieder nicht, dass man auf einen Hamsun verzichten könnte! Frankreich wiederum wählt für die Neubewertung einer faschistischen und antisemitischen Einstellung bei einem seiner hervorragenden Intellektuellen einen weiteren Weg, um auf das schon kurz erwähnte Beispiel von Louis-Ferdinand Céline zurückzukommen. Helmut Mayer schrieb anlässlich einer TV-Dokumentation über Céline in der FAZ vom 14. Oktober 2011, dass Céline 1951 in absentia zur einer einjährigen Gefängnisstrafe und einer Geldbuße verurteilt worden war „wegen seiner in den Jahren der Okkupation erschienenen oder wiederaufgelegten Pamphlete, die von rabiaten antisemitischen und rassistischen Tiraden durchsetzt waren; im selben Tonfall gehaltene Zuschriften an Zeitschriften waren hinzugekommen. Bedauern über diese Schriften hatte Céline nach 1945 nie geäußert. […] Nur wenige Monate nach seinem Tod erschien der von ihm ersehnte erste Band seiner Werkausgabe in der Bibliothèque de la Pléiade, die auch in den Folgebänden – genauso wie die mittlerweile vorliegende neue Edition – die Pamphlete beiseiteließ: Céline war endgültig als der moderne französische Klassiker konsekriert, der gleichzeitig zum politisch Unberührbaren geworden war.“ Mayer fordert, dass „die Verbindungslinien zwischen dem kanonisierten und weggesperrten Teil des Werkes nachzuzeichnen [sind], ohne gleich ein finales Verdikt im Auge zu haben.“
Genau das ist das Problem vor allem deutscher Kritiker und Journalisten, dass sie in ähnlichen Fällen gerne ein finales Verdikt im Auge haben. Beim Franzosen wird aber denn doch noch weiter differenziert: Die berühmten „Bagatelles“, Célines erstes Pamphlet, sind „nicht […[ einfach antisemitische Literatur, so wie sie zur selben Zeit in Deutschland erschien. Sonst hätte die deutsche Ausgabe nicht so viele Änderungen vornehmen müssen, und ein Leser wie André Gide wäre kaum auf die Idee gekommen, die ,Bagatelles´ für ein satirisches Spiel mit Übertreibungen zu nehmen.“ Céline wird zugute gehalten, „ohne jedes politische Gespür alles seiner Profilierung als rabiat antibürgerlicher Autor zu unterwerfen.“ Philip Roth sagt von ihm: „Um ihn zu lesen, muss ich mein jüdisches Bewusstsein abschalten, aber das tue ich, denn der Antisemitismus ist nicht der Kern seiner Romane.“ Bei Nyírö auch nicht. Hat es also mit der Nationalität zu tun, ob der fatale politisch-moralische „Rest“ nicht zählt? Darf Frankreich den faschistischen Teil eines Werks einfach „ignorieren“? Darf bei einem Amerikaner oder Rumänen die schiere literarische Bedeutung seines vor oder nach seinem „Fall“ erschienenen Werks dazu führen, dass die Öffentlichkeit hinterher beide Augen zudrückt? Auch die Deutschen verdrängen und vertuschen, wenn es ihnen nutzt und wissen in Sachen Vergangenheitsbewältigung alles vor allem dann besser, wenn sie auf andere mit Fingern zeigen können.
Die ganze tragikomische Angelegenheit der verhinderten Urnenbeisetzung hat in Wirklichkeit einen ganz simplen und traurigen Hintergrund. Die Rumänen haben den Ungarn bis heute nicht verziehen, dass in den 50 Jahren der Habsburger Doppelmonarchie die siebenbürgischen Rumänen einem Assimilationsdruck von ungarischer Seite ausgesetzt waren. Rumänien ist erst 1916 in den Ersten Weltkrieg eingetreten, als erkennbar war, dass es sein Kriegsziel, die Annexion Siebenbürgens mit den dort lebenden Rumänen, erreichen würde. Seitdem, also seit nunmehr fast 100 Jahren, sind die ungarischen Bewohner Siebenbürgens einem Assimilationsdruck von Seiten der Rumänen ausgesetzt (vom Westen besonders zu Ceausescus Zeiten aus Opportunismus geduldet). Die siebenbürgischen Deutschen sind teils vertrieben worden, teils aufgrund ähnlichen Drucks ausgewandert. Es wird von Rumänien praktisch geleugnet, dass Siebenbürgen eine tausendjährige ungarische Geschichte hat, auch aus der Sorge heraus, es könnte nochmals zu einem Schiedsspruch kommen wie dem von Wien 1940, durch den Ungarn den nordöstlichen, meist von Ungarn bewohnten Teil Siebenbürgens wieder zugesprochen bekam. Dass solches in der EU ausgeschlossen ist, ändert leider nichts an der Tatsache, dass Rumänien jede Aktion Ungarns als feindlich ansieht, die irgendwie daran erinnert, dass Siebenbürgen einmal zu Ungarn gehörte. Darum kann Nyírö nicht in seiner siebenbürgischen Heimat begraben werden, auch wenn er dies testamentarisch für den Fall der Beendigung des kommunistischen Regimes verfügt hat. Es ist dabei zweitrangig, dass er ein Antisemit war.
Pikant in diesem Zusammenhang ist, dass der faschistische Staatsführer Antonescu, der 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde, in Rumänien sehr beliebt ist, Strassen nach ihm benannt sind und Statuen von ihm öffentliche Plätze zieren. Erst der jetzt von seinem Amt suspendierte Staatspräsident B?sescu hat mittels einiger Gesetze versucht, die allgemeine Verehrung Antonescus, die schon zu einem schliesslich doch abgebrochenen Rehabilitationsverfahren geführt hatte, wenigstens offiziell zu beenden. Vielleicht ist ihm auch das zum Verhängnis geworden. Jedenfalls haben die EU und vor allem die westlichen Medien davon kaum Notiz genommen. Umso mehr jetzt von Ungarn, wo Admiral Miklós Horthy, der Reichsverweser Ungarns von 1920 bis 1944, zur Zeit eine Rehabilitation erfährt. Horthy war im Gegensatz zum eher eindimensionalen Antonescu ein widersprüchlicher Charakter. Der Journalist Paul Lendvai erkennt bei ihm treffend ein „Janus-Gesicht, […] einen inneren Zwiespalt, der sich in Schwankungen zwischen rechtsextremem Radikalismus und Konservatismus alten Stils, zwischen Gefühl und Vernunft äußert.“ Horthy wurde von den Amerikanern aus deutscher Haft befreit und nie als Kriegsverbrecher angeklagt, einfach weil er ein solcher tatsächlich nicht war. Er starb 1957 im portugiesischen Exil. Seine sterblichen Überreste wurden aus familiären Gründen 1993 nach Ungarn überführt. Horthy war „kein Humanist, aber auch kein Monstrum“, wie der Historiker István Deák feststellt. Ist es richtig, die „Galionsfigur eines konservativen, klerikalen und nationalistischen autoritären Regimes“, um noch einmal Lendvai zu zitieren, in einer Demokratie, die sich an den westlichen Werten orientiert, zu einer Projektionsfläche für nationale Gefühle zu machen? Sicher nicht. Es gäbe bessere Kandidaten. Leider sind einige aber schon in der kommunistischen Ära hochgehalten und damit – schuldlos – diskreditiert worden wie Endre Bajcsi-Zsilinszky, ein Politiker, der in schwerer Zeit sauber blieb und dafür durch die Pfeilkreuzler mit dem Leben bezahlte. Da wäre aber zum Beispiel Graf István Bethlen, ungarischer Ministerpräsident von 1921 bis 1931, der Ungarn wirtschaftlich konsolidierte, eine ausgleichende Politik durch gute Beziehungen sowohl zur Sowjetunion als auch zu den angelsächsischen Mächten betrieb, gegen die Judengesetze und den Kriegseintritt Ungarns war. Am Tag der deutschen Besatzung ging er in den Untergrund und wurde von den Russen nach Moskau deportiert, wo er bald starb. So einen wie ihn nicht als Symbolfigur zu nehmen, kann man kritisieren. Doch was die EU angeht: Sie täte gut daran, auch bei den politischen Symbolfiguren mit einer Latte zu messen.
In der „Zeit“ ist gerade eine Reihe zu „Europas Weltliteratur“ gestartet worden. Gleich zwei Faschisten werden für würdig erachtet, in einen Kanon europäischer Literatur aufgenommen zu werden: Knut Hamsun und Curzio Malaparte (der allerdings schon 1933 aus dem Partito Nazionale Fascista ausgeschlossen wurde). Knut Hamsun ist laut Maximilian Probst „der wohl ungeheuerlichste Fall von Verblendung, den die Literaturgeschichte kennt“, also auch ein „Fall“ wie Pound und die anderen. Ob es der ungeheuerlichste „Fall“ ist, sei dahingestellt: Es handelte sich vielleicht nur um den berühmtesten Autor. Hamsuns Begeisterung für Hitler und dessen Konzentrationslager und Angriffskriege, sein Eintreten für den Kollaborateur Vidkun Quisling und Verteidigung der deutschen Besatzung Norwegens hinderten ihn aber nicht, gegen Gewaltexzesse der Deutschen bei Hitler zu intervenieren. „Entsetzt wandte sich die literarische Welt von dem gefeierten Dichter ab. Interesse hegte für ihn an ihrer statt die Staatsanwaltschaft. Anklage: Hochverrat. Hamsun wird inhaftiert, durch Krankenhäuser, Irrenanstalt und Altersheime geschleust und schliesslich zu einer Geldstrafe verurteilt.“ Der Vorwurf der Geisteskrankheit zeigt, wie bei Pound, die Ratlosigkeit der Gesellschaft gegenüber einem großen Autor, dessen faschistische Ansichten nur als „Wahnsinn“ verstanden werden können. Aber eigentlich interessant ist die Begründung für die Kür von Hamsuns „Auf überwachsenen Pfaden“ als kanonfähig: Das Buch enthält „Lüge und Wahrheit, Verblendung und Einsicht, Liebenswürdigkeit und Verhärtung. Hamsun bemitleidet eine Tanne im Winter und schweigt von den Opfern des NS-Regimes; er räumt seine Schuld ein, nur um sie sogleich zu verallgemeinern (‚wir, die wir getäuscht haben‘); […] er schreibt um sein Leben und behauptet, er gebe nichts darauf (,All das ist gleichgültig‘). Gab es in der Literatur je zuvor ein vergleichbares Maß an Widersprüchlichkeit? Kein literarisch falscher Ton steckt in diesem Meisterwerk.“
Die Redaktion der „Zeit“ ist also fähig, nicht nur einen reuelosen faschistischen Autor, sondern auch ein zwiespältiges Buch dieses Autors rein aus literarischen Gründen zu loben. Das ist richtig. Herwig Gottwald meinte zu den oben genannten belasteten Intellektuellen: „Natürlich sind nicht alle auf der gleichen Ebene angesiedelt und müssen daher entsprechend differenziert behandelt werden.“ Die Zeit sollte endlich gekommen sein, in der nüchtern und differenziert über die Protagonisten der Geistesgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ihr Werk geurteilt werden kann. Dabei sollte nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Es kann nicht sein, dass das Werk eines ehemals faschistischen Autors, das meist wegen der Sprache, in der es verfasst wurde, international bekannter ist oder in seinem Wert aus welchen Gründen auch immer höher eingestuft wird, eher rehabilitiert wird (und der Autor gleich mit) als das Werk eines anderen Autors, dem solche glücklichen Umstände nicht zur Verfügung stehen. Insgesamt müssen die „Verbindungslinien“ zwischen den scheinbar oder tatsächlich ideologiefreien Werken und der faschistischen Aktivität der betroffenen Schriftsteller, Philosophen und anderen Intellektuellen besser untersucht werden als dies bisher geschehen ist.
Die Faszination des Faschismus für viele Intellektuelle im letzten Jahrhundert muss als eine Tatsache aufgefasst und darf nicht pathologisiert werden. Nur dann können die Gründe objektiv analysiert werden. Nur dadurch kann diese – besonders bei so intelligenten und differenzierten Menschen – zunächst unverständliche Faszination verstanden werden, was wiederum ermöglicht, die Anziehung durch politische oder religiöse Bewegungen, die in heutiger Zeit zum Führerkult, zur Gewaltverherrlichung, zu gesellschaftlichen Hierarchisierungen und Ausgrenzungen tendieren, zu konterkarieren. Für Nyírö heisst das, dass sein Werk zunächst der Unschuldsvermutung unterliegen und entsprechend neutral geprüft werden sollte, weil eine grundsätzliche, ideologisch oder nationalistisch begründete Ablehnung nicht akzeptabel ist. Ist es gute Literatur, kann sie auch empfohlen werden. Die Querelen um die Beisetzung seiner Urne auf rumänischem Staatsgebiet haben ganz andere Ursachen, die zeigen, wie wenig die Vergangenheit überwunden ist in Europa. Das ist aber ein weiterer Grund, sich mit der faschistischen Vergangenheit vieler Intellektueller offen auseinander zu setzen, anstatt sie zu verdrängen oder durch pauschale Ablehnung nicht wirklich ernst zu nehmen. Die doppelte Moral, die ganz offensichtlich in Europa herrscht in der Bewertung faschistischer Intellektueller, zeigt, dass die Katastrophe des europäischen Bürgerkriegs mit seinen mörderischen und selbstmörderischen Folgen immer noch nicht verarbeitet, geschweige denn verstanden ist.