Als der „Berliner Kurier“ – allerdings reichlich spät – am 4. August 2014 seinen Bericht über das „Leitbild zur Gleichstellung und Beteiligung von Frauen und Männern im Kreis Mitte“ (Beschluss der Kreisdelegiertenkonferenz der SPD-Mitte vom 5. April 2014) mit der Überschrift „SPD: Redeverbot für Männer“ aufmachte, dachte der Leser an einen verspäteten Aprilscherz.
Der Spott von Marcus Böttcher, dem Autor des Artikels über die SPD, war aus jeder Zeile zu spüren. Mit Recht. Es fällt schwer, seriös zu bleiben und Haltung zu bewahren. Die Diskussion über die Gleichstellung der Geschlechter in der SPD nimmt immer komischere Züge an. Die Grenze zur Satire ist zwischenzeitlich überschritten. Realsatire nennt man das wohl.
Doch von einem Aprilscherz konnte bei dem Beschluss vom 5. April keine Rede sein. Die GenossInnen aus Berlin Mitte meinten es ernst, bitterernst. In dem Beschluss legten sie fest, dass Redelisten in Zukunft bei allen Veranstaltungen zu quotieren sind. Sei das nicht möglich z.B. weil sich eine Frau nicht mehr für einen Redebeitrag meldet, wird die Rednerliste geschlossen. Wörtlich heißt es:
„Bei Kreisdelegiertenversammlungen und Kreisvorstandssitzungen wird die Redeliste geschlossen, wenn die Quote nicht mehr eingehalten werden kann. Bei sehr wichtigen Themen kann die Redeliste per Geschäftsordnungsantrag für jeweils drei weitere Personen eines Geschlechtes geöffnet werden. Dies stellt aber nur den Ausnahmefall und keinesfalls die Regel dar.“
Podien müssen, wie es im Beschluss vom 5. April weiter heißt, bei SPD-Mitte-Veranstaltungen in der Regel geschlechtergerecht besetzt werden. „In den jeweiligen Sitzungen der Gliederungen halten sich männliche und weibliche ReferentInnen die Waage.“ Kommt ein quotiertes Podium nicht zustande, werden die GenossInnen – so wird man vermuten können – die Veranstaltung absagen und/oder das Thema absetzen.
Der Beschluss der SPD aus Berlin Mitte streift – nicht zum ersten Mal – die Grenze zur unfreiwilligen Komik. Doch das stört offensichtlich niemanden in der Partei. Die GenossInnen aus Berlin Mitte wurden nicht zurückgepfiffen und auch nicht gestoppt – weder vom Berliner Landesverband und seinem Vorsitzenden Jan Stös, noch von der Bundespartei und ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Die wenigen parteiinternen Kritiker wagen sich nur ungenannt und gleichsam mit vorgehaltener Hand zu Wort. So nimmt der Gleichstellungswahn in der SPD seinen feministischen Gang – konsequent und bis zum bitteren Ende.
Es fällt nicht schwer, die sozialdemokratische Realsatire aus Berlin Mitte fortzuschreiben und den alltäglichen Quotenwahnsinn in der SPD bis zu seinem abstrusen Ende zu denken, gemäß der Feststellung von Polonius aus Shakespeares Tragödie Hamlet: „Though this be madness, yet there is method in’t“ (Hamlet, 2. Akt, Szene 2, Zeile 178). Das nachstehende Interview mit einer fiktiven feministischen Aktivistin in der SPD ist eine solche satirische Fortschreibung, die – wie ich befürchte – ernst zu nehmen ist.
Frage: Du hast mit anderen GenossInnen die Initiative „Gleichstellung jetzt“ ins Leben gerufen. Warum heute und was habt ihr vor?
Antwort: Die Lage für Frauen in der SPD ist nach wie vor trostlos…
Frage: Wieso? Seit 1988 gibt es doch die Frauenquote, seit 2003 sogar ohne Befristung. Das hat doch Frauen in alle Spitzenpositionen der Partei gebracht. Ist das nichts?
Antwort: Das schon. Dennoch ist die SPD immer noch eine von Männern beherrschte Partei. Über 70 Prozent der Mitglieder sind männlich. Und das 25 Jahre nach Einführung der Frauenquote. Das hatten sich die Genossinnen um Inge Wettig-Danielmeier damals anders vorgestellt. Wir müssen heute selbstkritisch feststellen, mit der Quote allein lässt sich die SPD nicht grundlegend ändern. Von einer Gleichstellung der Geschlechter sind wir noch meilenweit entfernt. Wenn ich an meinen Ortsverein denke, kommen zu den Sitzungen vielleicht 7 Genossen und 2 Genossinnen. Ich bin die Einzige, die mal den Mund aufmacht. Das ist einfach deprimierend.
Frage: In Berlin gibt es zwischenzeitlich eine „quotierte Rednerliste“ d.h. bei Kreisdelegiertenversammlungen und Kreisvorstandssitzungen wird die Rednerliste geschlossen, wenn die Quote nicht mehr eingehalten werden kann. Bei sehr wichtigen Themen kann die Redeliste per Geschäftsordnungsantrag für jeweils drei weitere Personen eines Geschlechtes geöffnet werden. Dies stellt aber nur den Ausnahmefall und keinesfalls die Regel dar. Wäre das nicht ein Weg?
Antwort: Das ist doch halbherzig. Wir müssten auch die Redezeit quotieren. Sonst quasselt ein Kerl 30 Minuten vor sich hin, die Genossin kommt dagegen in zwei Minuten präzise auf den Punkt, dann ist schon wieder so eine Quasselstrippe von Mann dran. Das kann es doch nicht sein.
Frage: Das heißt: Du forderst für jedes Geschlecht ein gleiches Zeitbudget und das im bewährten Reißverschlussverfahren.
Antwort: Ja. Quotierte Rednerlisten und geschlechtergerechte Zeitbudgets. Das ist immerhin ein Ansatz. Wenn Frauen keine Lust mehr haben zu debattieren, dann ist eben Schluss.
Frage: Gibt es bei einer solchen Regelung nicht auch Probleme? Wenn sich beispielsweise ein Mann oder auch eine Frau nicht meldet, dann muss doch die Rednerliste geschlossen werden, bevor die Auseinandersetzung überhaupt begonnen hat. Ist das nicht ein Problem?
Antwort: Hier muss sich die Partei eben entscheiden, was sie will. Flächendeckend überall ihren Senf dazugeben oder für eine konsequente Gleichstellung eintreten. Wir hatten die Diskussion ja schon einmal, als der Vorschlag, ich glaube er kam auch aus Berlin, diskutiert wurde, ob ein Parteigremium zustande kommen kann, wenn es nicht genügend Frauen gibt, die sich für das Thema erwärmen können. Ich sage hier klipp und klar: Wenn ein geschlechtergerechtes, und das heißt nun einmal ein quotiertes Gremium, nicht zustande kommt, dann soll die Partei darauf verzichten. Sie muss sich nicht zu allem und jedem äußern.
Frage: Du bist, wie ich annehme, auch dafür, dass in einem Parteigremium nur so viele Mitglieder Platz haben können, wie es gleichermaßen von Frauen wie Männer besetzt werden kann. Sollte das immer gelten, auch dann, wenn ein Gremium personell nur sehr bescheiden ausfallen würde?
Antwort: Gleichstellung geht auch hier vor. Hier kann es keine Sonderregelung geben. Wenn sich beispielsweise für das Thema „Benachteiligung von Jungen“ nur zwei Frauen interessieren, dann ist das eben so. Dann hat das Gremium nur vier Mitglieder. Für das Thema wäre das ja auch angemessen.
Frage: Ich will noch eine weitere Regelung aufgreifen, die seit einigen Monaten zumindest in Berlin gilt: das sogenannte geschlechtergerechte Podium und die Durchsetzung von geschlechtergerechter Sprache. Was ist darunter zu verstehen?
Antwort: Podien sollen bei Veranstaltungen in der Regel geschlechtergerecht besetzt werden. In den jeweiligen Sitzungen der Gliederungen müssen sich männliche und weibliche ReferentInnen die Waage halten. Das ist eine gute Regelung, wie ich denke. Hier wird deutlich gemacht: Gleichstellung hat in jedem Fall Vorrang. Wenn es keinen Referenten oder keine Referentin gibt, wird das Thema halt nicht aufgerufen. So einfach ist das.
Frage: Und wie siehst du das bei der geschlechtergerechten Sprache?
Antwort: Hier geht es darum zu zeigen, dass die Partei auch in ihrem Sprechen in der gleichgestellten Welt angekommen ist. Da hat sich zwar in der Partei in den letzten drei Jahrzehnten auch schon was getan. Doch noch nicht genug, wie die BerlinerInnen wohl ahnen. Gleichwohl herrscht noch eine ziemliche Unsicherheit. Um die geschlechtergerechte Sprache sinnvoll gebrauchen zu können, müsse – so heißt es im Berliner Beschluss – Einvernehmen darüber herrschen, was darunter zu verstehen sei. Das finde ich nicht. Die feministische Sprachwissenschaft hat doch in den vergangenen Jahrzehnten klare Vorgaben gemacht. An die sollte sich die Partei halten. Der Vorstand muss sich nun überlegen, wie das umgesetzt werden kann. Ich könnte mir z. B. vorstellen, dass wir für einige Jahrzehnte generell die weibliche Anrede verwenden, wie das ja hier und da auch schon praktiziert wird. Dann heißt es eben für eine gewisse Zeit, es spricht die Genossin Parteivorsitzende Sigmar Gabriel oder die Außenministerin Frank-Walter Steinmeier. Das wäre doch kein Beinbruch. Dass das für die überwiegende Zahl der männlichen Mitglieder in der Partei Umstellungsprobleme gibt, gebe ich gerne zu. Doch da müssen die durch, notfalls mit Sprachkursen.
Frage: Haben die Gleichstellungsbeschlüsse von Berlin Mitte Chancen auf Landes- und Bundesebene?
Antwort: Das wird sich zeigen. Zumindest kann Eva Högl, unsere Bundestagsabgeordnete, ihren Einfluss geltend machen, sie ist immerhin stellvertretende Vorsitzende der SPD Bundestagsfraktion.
Frage: In der SPD werden Personalfragen immer häufiger durch Mitgliederbefragungen, an die sich die Parteigremien zu orientieren haben, entschieden. Ist das nicht ein Problem bei einer Partei, die 70 Prozent männliche Mitglieder hat?
Antwort: Ja, so ist es. Die ganzen Quotenbeschlüsse sind für die Katz, wenn durch Mitgliederentscheid Spitzenkandidaturen von den Mitgliedern bestimmt werden. Hier brauchen wir eine ergänzende Regulierung, die das formaldemokratische Prinzip „one man one vote“ modifiziert. So könnte ich mir vorstellen, dass die Stimme einer Frau bei einem Mitgliederentscheid doppelt gewichtet wird. Das gab es im Prinzip früher ja auch schon mal. Denkbar wäre auch per Satzung festzulegen, dass den Parteimitgliedern bei der Hälfte der Mitgliederentscheide nur Kandidatinnen zur Wahl gestellt werden, so dass die Männer gar keine andere Wahl haben, als eine Frau zu wählen.
Frage: Ohne eine geschlechtergerechte Änderung der formaldemokratischen Wahlprozeduren kommen wir also nicht weiter?
Antwort: Darauf wird es wohl hinauslaufen. Ohne eine Wahlrechtsänderung wird eine geschlechtergerechte Mandatsverteilung in den Parlamente noch lange auf sich warten lassen. Die neue sozialistische Regierung in Italien hat das als erste in Europa erkannt und für die Europawahl das Wahlrecht geändert. Wenn nicht geschlechtergerecht abgestimmt wird, verfällt eine Stimme. So einfach ist das heute in Italien. Das könnten wir doch auch machen und dabei bei den innerparteilichen Wahlen schon mal anfangen. Die Mehrheiten auf Parteitagen kriegen wir doch für eine solche Satzungsänderung spielend zusammen.
Frage: Mir scheint allerdings, mit gendergerechten Veränderungen am Wahlrecht kommen wir an den Kern des Problems immer noch nicht richtig heran. Trotz Quote und einer Vielzahl von innerparteilichen Förderprogrammen für Frauen ist der Anteil weiblicher Mitglieder in der SPD seit einem Vierteljahrhundert kaum gestiegen. Nur 30 Prozent der Mitglieder sind weiblich. Müssen wir nicht völlig neue Wege gehen, um diesen Missstand zu beseitigen?
Antwort: Das sehe ich auch so.
Frage: Wie soll frau das denn ändern?
Antwort: Die Genossinnen, die in Münster die Frauenquote durchgesetzt haben, haben das Beharrungsvermögen der Männer unterschätzt. Die räumen einfach nicht das Feld, bleiben Mitglied bis ins Grab. Nun sterben Männer zwar früher als Frauen, so dass es eine ganz natürliche Entwicklung zur Geschlechtergleichstellung gibt. Nur das dauert verdammt lange, viel zu lange, wie ich finde.
Frage: Aber es sind doch zwischenzeitlich 50 Prozent der männlichen Mitglieder aus der Partei ausgeschieden. Ist das kein Erfolg? Immerhin ist dadurch der Frauenanteil gestiegen.
Antwort: Aber das Ergebnis ist doch ziemlich ernüchternd. Nach dem es nicht gelungen ist, mehr Frauen für die SPD zu gewinnen, muss die Partei unkonventionelle Wege gehen.
Frage: Was schlägst du vor?
Antwort: Eine Zwangsentsorgung männlicher Mitglieder kommt für eine Partei wie die SPD mit ihren Freiheitstraditionen nicht in Frage. Im Übrigen wäre das auch rechtlich problematisch. Es würde sich aber schon mal lohnen, die männlichen Karteileichen auszukehren. Das würde das Bild zumindest ein bisschen aufhellen.
Frage: Frau kann doch auch über einen Aufnahmestopp für Männer nachdenken, wie das ja schon in der Partei hier und dort geschieht.
Antwort: Das ist sicherlich ein Weg. Damit sich eine Geschlechterparität aber auch annähernd einstellt, müsste der Aufnahmestopp mindestens 15 Jahre dauern. Wichtig wäre dabei festzuhalten, dass der Aufnahmestopp verlängern werden muss, wenn sich die Lebenserwartung der Männer erhöht.
Frage: Wie ist es mit Anreizen, wenn Zwangsmaßnahmen nicht zum Zuge kommen können.
Antwort: Ja, hier sind verschiedene Möglichkeiten in der Diskussion.
Frage: An welche denkst du?
Antwort: Beispielsweise könnten die Parteibeiträge für Frauen gesenkt oder für eine bestimmte Zeit ganz gestrichen werden. Für Männer könnten sie dagegen verdoppelt werden. Beim Geld hört ja bekanntlich die Gemütlichkeit auf. Denkbar wäre auch ein Bonusprogramm für Männer, die die Partei freiwillig verlassen. Beispielsweise könnten ihnen die Beiträge der vergangenen zwei Jahre zurückerstattet werden. Der Schatzmeister müsste das mal durchrechnen.
Frage: Es gibt also Wege zur Gleichstellung der Geschlechter, wenn die Partei es tatsächlich will?
Antwort: So ist es. Deshalb haben wir uns ja auch zusammengetan und die Initiative „Gleichstellung jetzt“ gestartet.
Frage: Am Schluss noch eine Frage: Ist diese ganze Debatte um Quoten eigentlich nicht von gestern? Wir haben doch Frauen, die sich ganz und gar wie Männer sehen und Männer, die sich mit Haut und Haaren wie Frauen fühlen.
Antwort: Ja, das stimmt. Hier ist die SPD einfach noch nicht auf der Höhe der Zeit. Meiner Meinung nach ist es einem „Mann“, der sich als Frau fühlt, also eine vollkommen weibliche Identität besitzt, nicht zuzumuten, sich auf einer Männerliste um ein Mandat zu bewerben. Für eine solche GenossIn muss die Frauenquote zur Geltung kommen. Ob eine Genossin, die sich ganz und gar als Mann fühlt, auf die Männerliste verwiesen wird, müsste noch geklärt werden. Ich weiß, dass das die Jungsozialisten noch anders sehen.