Man sollte sich schon ehrlich machen, wenn man auf internationalen Konferenzen gehört und ernst genommen werden will. Vor allem dann, wenn man in so diffizilen Sachen wie der Energiepolitik sprichwörtlich auf dem hohen Ross sitzt und aller Welt unentwegt Zensuren verteilt. Die Deutschen hätten nämlich die eingegangenen klimapolitischen Verpflichtungen längst und spielend leicht erreichen können, wenn sie nicht seit 1998 aus der Kernenergie ausgestiegen wären und wenn bei uns noch immer wie am Ende des Jahrtausends 27 Kernkraftwerke Strom produzierten. Zwischenzeitlich sind sie auf mickrige 11 geschrumpft und wurden hauptsächlich von den Dreckschleudern in der Kölner Bucht und der Lausitz ersetzt.
Spätestens seit dem Beschluss der Merkel-Regierung im Frühjahr 2011, bis zum Jahr 2022 aus der Kernenergie vollständig und endgültig auszusteigen und in einer Panikreaktion 8 Atommeiler sofort abzuschalten, konnte jeder wissen, dass damit die Stromerzeugung aus Kohle und Braunkohle hochgefahren werden, was unweigerlich zu einem erhöhten Ausstoß von Treibhausgasen führen muss. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Zu Recht steht deshalb Deutschland bei all den Ländern am Pranger, die sich nicht von der deutschen Anti-AKW-Hysterie haben anstecken lassen und sich weiter von der Erkenntnis leiten lassen, dass eine grüne Zukunft bei der Stromerzeugung nur mit Erneuerbaren und Atomstrom zu haben ist. Auch in Deutschland war das lange Zeit Alltagswissen.
Alle Welt weiß, dass erneuerbare Energien aus Wind und Sonne allein nicht ausreichen werden, um den steigenden Energiebedarf zu decken. Im Übrigen sind sie viel zu teuer. Wenn man es mit der Begrenzung des Klimaanstiegs ernst meint, kommt man an der Kernenergie nicht vorbei. Das ist eine Binsenweisheit, die auf jeder Weltklimakonferenz – wie jetzt wieder in Katowice – geradezu gebetsmühlenartig wiederholt wird.
Es versteht ohnehin kaum jemand, dass Deutschland das einzige Land ist, dass – wegen der Katastrophe in dem mehr als zehnttausend Kilometer entfernten Fukushima – in Zukunft vollständig auf Kernenergie verzichten wird.
Es wird nicht folgenlos sein, dass die Bundesrepublik Deutschland das einzige Industrieland von Belang ist, das den Einsatz von Kernenergie vollständig einstellt. Von den 10 wichtigsten Industrie- und Entwicklungsländern – den USA, der Volksrepublik China, Japan, Frankreich, Großbritannien, Brasilien, Südkoreas, Kanada, Russland, – ist keines dieser Länder dem deutschen Beispiel gefolgt. Im Gegenteil: Alle diese Länder bauen entweder ihren Kernkraftwerkspark weiter aus oder planen es. Die Volksrepublik China – für viele in Deutschland das Musterbeispiel für den erfolgreichen Weg in eine grüne Energiezukunft – hat sich das ehrgeizigste Atomenergieausbauprogramm vorgenommen.
Weltweit wurden 2016 in 31 Ländern 421.461 Megawatt Atomstrom erzeugt. Das waren 11% der weltweiten Stromerzeugung. Gegenüber von vor zwanzig Jahren ist dieser Anteil zurückgegangen. Dem Klima hat das nicht gut getan.
Experten gehen davon aus, dass die Stromerzeugung aus Kernkraft in Zukunft wieder deutlich steigen wird, zumal dann, wenn neue noch sicherere Anlagen ans Netz gehen werden. Die Staaten, in denen sich die beiden bislang schwersten Atomunfälle ereigneten, die Ukraine und Japan, setzen auch in Zukunft auf die Erzeugung von Strom aus Kernkraft. So sind in der Ukraine – mehr als 30 Jahre nach Tschernobyl – 15 Atommeiler am Netz, zwei weitere im Bau. In Japan hatte die Regierung nach dem Unglück von Fukushima alle Kernkraftwerke des Landes abgeschaltet und verschärfte Sicherheitsüberprüfungen angeordnet. Zwischenzeitlich sind die Prüfungen abgeschlossen und 5 Meiler wieder am Netz. Die Betreiber 40 weiterer Kernkraftwerke warten auf die Genehmigung seitens der Behörden auf Wiederzulassung ihrer Anlagen.
Auch in Europa, in unmittelbarer Nachbarschaft Deutschlands, setzen die politisch Verantwortlichen weiter auf Kernenergie. Mitte des Jahres 2017 betrieben unsere europäischen Nachbarn über 120 Kernkraftwerke, davon allein in Frankreich 58, in Großbritannien 15, in Schweden 10, in Belgien 7, in der tschechischen Republik 6, in der Schweiz 5, in Finnland, Ungarn und der Slowakei jeweils 4, in Bulgarien und Rumänien jeweils 2, in Slowenien und den Niederlanden jeweils 1.
Es ist töricht und überheblich anzunehmen, dass die Verantwortlichen dort das Leben und die Gesundheit ihrer Bürger eher auf Spiel setzen und die Bedenken weniger ernst nehmen als die deutsche Bundesregierung. Kein Wunder, dass sich unsere europäischen Nachbarn die oberlehrerhaften Belehrungen deutscherseits verbitten, wenn es um die Sicherheit ihrer Anlagen geht.
Auch sicherheitspolitisch ist der deutsche Sonderweg eine Fehlentscheidung. Deutsche Anlagenbauer haben die sichersten Kernkraftwerke weltweit gebaut. Das Knowhow deutscher Ingenieurskunst wurde überall auf der Welt hochgeschätzt und setzte Standards für die Reaktorsicherheit. Zwischenzeitlich dürfte das Wissen veraltet sein, neues wächst von deutscher Seite nicht mehr nach.
Gerade weil die Bundesrepublik umringt ist von Kernkraftwerken, würde eine Katastrophe von japanischen und ukrainischen Ausmaßen, wie die Bundesregierung sie ja auch für europäische Kernkraftwerke wohl annimmt, vor allem die Deutschen in Mitleidenschaft ziehen. So fragt man sich unwillkürlich, was denn die ganze Hysterie um die tödlichen Gefahren der Atomkraft soll, der die Bundesregierung so bereitwillig nachgeben hat, wenn sie zumindest bei den politisch Verantwortlichen nirgendwo in Europa oder auch sonst wo auf der Welt geteilt wird?
Mit der deutschen Atomangst können unsere Nachbarn wenig anfangen. Für sie ist die Atomenergie eine sichere und verlässliche Energiequelle, auf die nicht verzichtet werden kann und soll. Finnland plant den Anteil der Kernkraft an der Stromerzeugung von 40% auf 70% zu steigern, um die ehrgeizigen Klimaziele des Landes zu erreichen. Und selbst Länder, die bislang auf Kernenergie verzichteten, bereiten den Einstieg in die Atomwirtschaft vor und planen den Neubau von Atomanlagen.