Am 30. August diesen Jahres gilt es sich eines denkwürdigen Ereignisses zu erinnern. Zumindest für Sozialdemokraten. Dann genau vor 30 Jahren beschloss die SPD auf ihrem Bundesparteitag in Münster mit großer Mehrheit die in den Parteistatuten verankerte und damit verbindliche Quote zugunsten von Frauen. Das heißt die Begünstigung von weiblichen Mitgliedern bei der Vergabe von Spitzenämtern in der Partei und bei Kandidaturen bei allgemeinen Wahlen. Und das ausgerechnet mit Hilfe des Wahlrechts, dem Kernbereich der Demokratie. Eine damals höchst umstrittene, riskante und hoch problematische Operation.
Gewählte zweiter Klasse
Parteien können sich bei der Festlegung ihrer inneren Ordnung nicht einfach über die Vorgaben des Grundgesetzes und des Parteiengesetzes hinweg setzen. Sie sind vielmehr an sie gebunden und haben sich an ihnen bei der Gestaltung ihrer inneren Ordnung zu orientieren. Die Grundelemente der Demokratie, auch die der innerparteilichen Demokratie, stehen somit nicht im Belieben der Parteiführungen. Selbst Mehrheitsentscheidungen von Delegierten auf Parteitagen können die einschlägigen Bestimmungen von Verfassung und Gesetzen nicht ignorieren. Parteien haben auch die ergänzenden Erläuterungen und Festlegungen des Bundesverfassungsgerichts zu beachten. Genau das ist jedoch in Münster nicht passiert. Und die Quotenregelung heute beachtet sie erst recht nicht. Die Quote, zumal die seit 2003 beschlossene, zeitlich unbegrenzte Quotenregelung ist ein Anschlag auf Grundelemente innerparteilicher Demokratie. Sie setzt an der Einschränkung des Wahlrechts an. Sie manipuliert damit das Ergebnis von Wahlentscheidungen und untergräbt damit deren Legitimation.
Die Geschlechterquote, wie die Frauenquote zwischenzeitlich beschönigend und den wahren Sachverhalt verschleiernd genannt wird, wird in der Partei als großer emanzipatorischer Erfolg gefeiert, ein Meilenstein der Parteigeschichte, wie es um den 30. Jahrestag allenthalben heißen wird. Nur: Was ist von einem Erfolg zu halten, der bei Lichte besehen gar keiner ist, der durch eine für alle Mitglieder verbindliche Regelung in den Parteistatuten erzwungen wird, deren Ergebnis doch schon feststeht, bevor überhaupt gewählt wird. Ein emanzipatorischer Erfolg wäre es, wenn 40 oder 50 % Frauen in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen in Spitzenpositionen der Partei oder zu Kandidatinnen für allgemeine Wahlen gewählt würden. Genau das ist nicht der Fall. So haftet allen in Ämter gewählten Frauen in der SPD der Makel mangelnder demokratischer Legitimation an. Und das nunmehr seit dreißig Jahren, als die Quotenregelung in Münster in den Parteistatuten festgeschrieben wurde.
Solange Wahlgrundsätze, die „Grundelemente der Demokratie“, wie das Bundesverfassungsgericht sie nennt, in den Statuten der Sozialdemokraten verletzt werden, solange bleiben die Genossinnen Gewählte zweiter Klasse.
Schadensbilanz
Für die Frauen ist die Quote in Wahrheit ein Pyrrhussieg, über den in der SPD niemand zu sprechen wagt, ein Tabuthema, das aufzuwerfen mit erheblichen Kollateralschäden verbunden ist. Für die Partei insgesamt ist die Quote ein frommer Selbstbetrug: Das ursprüngliche Ziel der Quote, mehr Frauen in die SPD zu locken, ist grandios gescheitert. Seit der Einführung der Quote ist die Zahl weiblicher Mitglieder um 42% zurückgegangen. Nur weil noch mehr Männer der Partei den Rücken gekehrt haben (Rückgang 56%), ist der Mitgliederanteil der Frauen auf gerade einmal knapp ein Drittel gestiegen – nach dreißig Jahren Pflichtquote in der Partei. Die fundamentale Einschränkung der innerparteilichen Demokratie durch die Manipulation am Wahlrecht hat dagegen dauerhafte Schäden hinterlassen, die nur unter vorgehaltender Hand angesprochen werden. Nur eines hat die Quote zweifellos erreicht: die organisierte Macht der ASF, der „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen“ ist in der Partei so groß wie nie zuvor. Ohne sie geht nichts mehr in der Partei. Nicht nur die Programmatik der Partei hat sich dadurch entscheidend verändert, auch die Personalauswahl in der Partei ist von dieser Machtverschiebung fundamental betroffen. Männer, die sich mit der ASF anlegen, müssen sich warm anziehen.
Gegner und Kritiker der Quote haben entweder die Partei längst verlassen oder sind in der Partei kaltgestellt worden. Die meisten haben klein beigegeben und haben sich mit den neuen Verhältnissen arrangiert. Als auf dem Bochumer Parteitag 2003 der Antrag der ASF zur Aufhebung der zeitlichen Befristung der Quotenregelung zur Debatte stand, hatte schon niemand mehr das Wort ergreifen wollen. Dabei war gerade die Begrenzung der Quotenregelung auf 25 Jahre entscheidend für das Zustandekommen des Münsteraner Parteitagbeschlusses. Nur durch eine zeitliche Befristung sei eine Quotenregelung legitimiert, waren sich alle einig. In Bochum wurde der Entfristungsantrag der Genossinnen ohne Debatte durch gewunken.
In Wahrheit ist die Quotenregelung mit ihren für Frauen und Männer getrennten Wahllisten und der Begünstigung von weiblichen Mitgliedern ein unbegreiflicher Rückfall ins Klassenwahlrecht längst vergangener Zeiten, für den die SPD einen hohen Preis gezahlt hat und auch noch weiter zahlt. Der Niedergang der Partei und der Abstieg in der Wählergunst in den letzten drei Jahrzehnten sind nicht nur, aber auch der Quote geschuldet.
Über den Autor:
Klaus Funken promovierte im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main. Er war wirtschaftspolitischer Referent der SPD-Bundestagsfraktion und leitete das Büro der Friedrich Ebert Stiftung in Shanghai und London.