An der Substanz

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Seit Anfang Juli wissen wir, wie sich die Manipulation am italienischen Wahlrecht durch die neue sozialdemokratisch geführte Regierung unter Matteo Renzi bei der Europawahl ausgewirkt hat: Der Frauenanteil unter den italienischen Europaabgeordneten hat sich verdoppelt – von 21% bei der Wahl 2009 auf 40% 2014.

Dies ist einmalig. Bei keiner Europawahl in keinem der Mitgliedsstaaten war eine solche „Sensation“ bisher möglich. Es wird nicht lange dauern, dann wird das „historische“ Ergebnis die Runde machen und es wird nach den Ursachen dieses bisher einmaligen „Erfolges“ Ausschau gehalten. Doch diese Ursachenforschung wird es in sich haben.

Wir erinnern uns (vgl. dazu meinen Artikel „Italienischer Entzug“ vom 24 Mai 2014): die gerade ins Amt bugsierte Regierung Renzi hatte als einer ihrer ersten Amtshandlungen das Wahlrecht für die Europawahlen verändert. Nach bisherigem Wahlrecht verfügt jeder Italiener über drei „Vorzugstimmen“, wie sie genannt werden.

Damit kann er die von den Parteispitzen zuvor festgelegten Platzierungen auf den Listen der Parteien verändern. Ein Kandidat, den die Parteispitze mit einem ungünstigen Listenplatz versehen hatte, kann durch die „Vorzugstimme“ auf einen höheren und damit aussichtsreicheren Listenplatz gehoben werden. Und natürlich gilt das auch für den umgekehrten Fall. Wir kennen das Verfahren bei uns aus Kommunalwahlen einiger Länder, bei dem durch das „Kumulieren“ der Stimmen der Listenplatz eines Kandidaten ebenfalls verbessert werden kann. Oder auch nicht.

Die demokratische Substanz einer Wahl wird dadurch zweifellos erhöht, vor allem dann, wenn – wie bei der Europawahl – keine Kandidaten direkt zur Wahl stehen, sondern ausschließlich Wahllisten der Parteien. Soweit so gut. Soweit das alte Wahlrecht in Italien.

Wie erwähnt hatte die Renzi Regierung dieses Wahlrecht vor der Europawahl „ergänzt“. Weil der Frauenanteil unter den italienischen Europaabgeordneten bei der Europawahl 2009 auf gerade einmal einem Fünftel lag, wurde das Wahlrecht quotiert: Wer nicht so wählt, wie die Renzi Regierung es sich wünscht, dessen Stimme wird einfach kassiert.

Werden die drei „Vorzugsstimmen“ für Kandidaten nur eines Geschlechtes abgegeben, wie das bei den Wahlen zuvor der Fall war, dann wird die zweite und dritte Stimme nicht gezählt und fällt unter den Tisch. Gültig sind die „Vorzugsstimmen“ nur dann, wenn gemischtgeschlechtlich abgestimmt: also für zwei Männer und eine Frau oder für zwei Frauen und einen Mann. Von der Gleichwertigkeit der Stimme kann bei einer solchen Regelung keine Rede mehr sein. Damit ist eines der Grundprinzipien einer demokratischen Wahl ausgehebelt.

Ich hatte am 24. Mai prognostiziert, dass mit dem neuen Wahlrecht der Frauenanteil unter den italienischen Europaabgeordneten auf zumindest ein Drittel hochschnellen werde. Jetzt sind es sogar 40% geworden. Der Frauenanteil hat sich gegenüber der Europawahl von 2009 verdoppelt – nicht aus Einsicht der Wähler und einem entsprechend veränderten Wahlverhalten, sondern durch die Manipulation am Wahlrecht.

Zur Erinnerung: 1979 lag der Frauenanteil unter den italienischen Europaabgeordneten bei 14%, 1984 sogar nur bei 10%, 1989 bei 12%, 1994 bei 13% 1999 bei 14%, 2004 bei 21% und 2009 ebenfalls bei 21%. Auch Renzis Partei hat die Wahlrechtsänderung offensichtlich gutgetan. Sie ging mit über 40% als Siegerin aus der Europawahl hervor. Doch die Italiener haben für diesen Doppeltriumph Renzis einen teureren Preis gezahlt.

Dass mit Renzis Wahlrechtsänderung die Axt an der Wurzel jedes demokratischen Auswahlverfahrens gelegt wird, ist offensichtlich. Wenn eine abgegebene Stimme als ungültig gewertet werden kann, wenn einem erwarteten Wahlverhalten nicht entsprochen wird, dann nähern wir uns den „Wahlveranstaltungen“ in Scheindemokratien. Die sozialistischen Volksdemokratien unseligen Angedenkens lassen grüßen. Bisher hat sich niemand über diesen Coup Renzis aufgeregt. Weder in Italien noch anderswo. Das wird von vielen als Ermunterung verstanden werden, weiter zu machen.

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Am Wahlrecht zu „drehen“, um einen höheren Frauenanteil in Parlamenten zu erzwingen, ist nicht nur auf Italien beschränkt. Die Diskussionen darüber sind in vollem Gange. Auch bei uns. Immer mal wieder werden entsprechende Versuchsballons losgelassen, um die Stimmung „draußen im Lande“ zu testen. Der Grund: Trotz (undemokratischer) Frauenquoten in den Parteien ist die erhoffte „Gleichstellung“, d.h. die hälftige Besetzung der Parlamente mit Frauen, noch immer ausgeblieben. Jetzt kommt bei den Feministinnen aller Parteien das Wahlrecht selbst immer häufiger ins Visier. Nach dem Motto „Hauptsache das Ergebnis stimmt“ wird über allerlei Stellschrauben am Wahlrecht nachgedacht.

Eines ist sicher: Der „italienische Erfolg“ bei den Europawahlen 2014 wird dieser Debatte neuen Schwung verleihen. Und ein zweites steht ebenso fest: Jetzt geht es an die demokratische Substanz unsers Gemeinwesens. Und das Motto kann nur lauten: Wehret den Anfängen!

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